Gesundheitsreform vergiftet Wahlkampf

Urteil des Obersten USA-Gerichts gefürchtet

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 3 Min.
In der bescheidenen Bilanz Barack Obamas ist die Verabschiedung einer nationalen Gesundheitsreform bis heute die weitestreichende Leistung. Ihr wird jetzt - angestrengt von Republikanern aus 26 US-Bundesstaaten - der Prozess gemacht.

Wie auf hoher See ist der Ausgang vor dem Obersten Gericht offen. Die Reform könnte ganz oder in Teilen bestätigt oder verworfen und namentlich die Pflicht zum individuellen Abschluss einer Krankenversicherung als verfassungswidrig verurteilt werden. Das Gesetz soll 2014 in Kraft treten und 31 Millionen bisher Unversicherte erstmals schützen. Dass sie noch unversichert sind, macht die USA unter den Industriestaaten zum Land unzivilisierter Alleinstellung.

Nach der Anhörung vorige Woche wird der Spruch des Obersten Gerichts im Juni erwartet. Fünf der neun Verfassungsrichter wurden von republikanischen Präsidenten nominiert, vier von Demokraten. Das hat zum Rechtsruck des Supreme Court beigetragen. Ausdruck fand das in der Aufhebung von Begrenzungen für den Waffenbesitz und der Streichung aller Beschränkungen für Großspender in Wahlkämpfen. Sie befreite die reichsten Unternehmen in der Präsidentschaftskampagne von allen Fesseln und erweiterte ihre Möglichkeiten zur Einflussnahme beispiellos.

Obwohl das Urteil noch aussteht, ist klar: Seine wahlpolitischen Folgen werden groß sein. Und Obamas Demokraten ebenso wie die Republikaner suchen Sprachregelungen, um das Thema für den Wahlkampf ums Präsidentenamt zu nutzen. Einige Demokraten sehen im möglichen Scheitern der Reform vor Gericht einen schweren Schlag für Obamas wichtigstes sozialpolitisches Projekt und unabsehbare Folgen für die Wahlen im November.

Andere, darunter der Fraktionschef der Demokraten im Senat, Harry M. Reid, sind für den Fall einer Gerichtsniederlage optimistisch. Sie könne Obamas Wiederwahl sogar begünstigen, indem sie demokratische Wähler aufrüttle und zusammenschweiße. Die »Washington Post« verweist auf den Versand von rund einer Million Schreiben an Frauen in mutmaßlich wahlentscheidenden Bundesstaaten, in denen populäre Maßnahmen der Gesundheitsreform wie die kostenlose Mitversicherung von in Ausbildung befindlichen Jugendlichen bei ihren Eltern herausgestellt werden.

Das Weiße Haus verhält sich still. Ein Pressesprecher erklärte nur, man verfolge »keinen Plan B«, sollte das Gericht das Health Care Law stoppen. »Wir konzentrieren uns auf die Umsetzung des Gesetzes und vertrauen auf seine Verfassungsmäßigkeit.« Der ausgebildete Jurist Obama verzichtete auf feierliche Erklärungen zum zweiten Jahrestag der Unterzeichnung der Reform und ließ die Gerichtsanhörung unkommentiert.

»Ein Grund«, so die »Washington Post«, »könnte die Sorge sein, jegliche Erklärung werde parteiische Töne in die Debatte eines Falls tragen, den die Obama-Berater durch das Gericht allein anhand seines rechtlichen Gehalts entschieden sehen wollen.«

Die Republikaner, deren Präsidentschaftsbewerber die Reform abschaffen wollen, hoffen auf entsprechende Unterstützung durch das Gericht. Ein Sieg, sagte der republikanische Gouverneur von Virginia, Bob McDonnell, würde signalisieren, »dass der Trend zu zentralen Regierungslösungen aus Washington an Grenzen stößt und die größte Leistung der Obama-Regierung verfassungswidrig ist«.

Heikel stellt sich die Lage für Mitt Romney dar. Der im Vorwahlkampf führende, mutmaßliche Herausforderer Obamas steckt hinsichtlich der Gesundheitsreform in der Klemme: Da er als Gouverneur von Massachusetts einst eine Reform einführte, die im Bundesstaat das vorwegnahm, was Obama später für die Nation verabschiedete, wird es für ihn schwierig, aus dem Gerichtsurteil politisches Kapital zu schlagen.

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