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Rassentrennung auf Ungarisch

Das Dorf Gyöngyöspata steht für die romafeindliche Politik der Regierung Orbán

  • Till Mayer
  • Lesedauer: 6 Min.
Vor einem Jahr marschierten im ungarischen Gyöngyöspata drei Wochen lang die Rechtsradikalen auf. Der Staat sah lange tatenlos zu. Er versuchte lieber, diejenigen mundtot zu machen, die dagegen aufbegehrten. Willkommen im System Orbán. Drei Menschen berichten über Rassentrennung und kontrollierte Medien.

Die Aufrechte

János Farkas mit Sohn Zsolt und seiner Enkelin
János Farkas mit Sohn Zsolt und seiner Enkelin

Was bleibt, ist die Erinnerung. An viele Reportagen, an eine Zeit, in der so viel möglich schien. Bea Balázs spricht ungewöhnlich leise für eine Radiojournalistin. In der Lounge des trendigen Vier-Sterne-Hotels im Herzen von Budapest wirkt sie ein wenig verloren. Eine schmächtige Frau in einem Pullover, der kein Designer-Label trägt. Die 53-Jährige war als Journalistin immer da, wo die Schwachen der Gesellschaft zu finden sind.

Alle vier Jahre bangte sie um ihren Job. Jede Wahl, jede neue Regierung brachten neue Programme, neue Führungsköpfe und Entlassungen. Die Journalistin war nie eine Parteisoldatin. Ihre Neu-tralität, die schützte sie. Doch so hart wie unter der nationalkonservativen FIDESZ-Regierung traf es die öffentlich-rechtlichen Journalisten nie. 300 verloren ihren Job, laut Regierung wegen Rationalisierungsmaßnahmen.

Bea Balázs gehört zu den Entlassenen. Seit April vergangenen Jahres ahnte sie, dass es sie treffen würde. Seit der Gyöngyöspata-Geschichte. In dem Dorf marschierten rechtsradikale Milizen auf. Drei Wochen lang terrorisierten sie die Roma, die Polizei hielt sich zurück, bis die Lage eskalierte. Bea Balázs nicht, sie berichtete darüber, was geschah. Das war ein Grund für das Ende ihrer Karriere, vermutet sie. Aus der Chefredaktion erhielt sie folgende Mail: »Ihre Reportage stellt das Thema - das im Mittelpunkt ausländischer Angriffe steht - nicht passend dar.« Im Mittelpunkt ausländischer Angriffe? »Nicht die Rechtsradikalen, die durch Gyöngyöspata marschierten, diskreditieren Ungarn. Sondern ich als Journalistin, die davon erzählt, wie Kinder, Frauen und Männer in Angst leben«, sagt Balázs.

Ein Vierteljahr später bekam sie ihre Kündigung: ohne Begründung. Wie so viele andere Kollegen. Fertige Reportagen von ihr gingen nicht auf Sendung. »Wissen Sie, ich bin nicht traurig. Ich glaube, viele und vor allem junge Menschen werden jetzt aufwachen und sich für eine echte Demokratie einsetzen. Das wäre sonst nie passiert«, sagt Bea Balázs.

Ihre Chancen als Journalistin auf dem Arbeitsmarkt? »Null«, sagt Bea Balázs. »Aber vielleicht ja doch in einer bürgerrechtlichen Internetzeitung.« Über Gyöngyöspata würde sie dann wieder berichten. Aber sie weiß, dass sich das immer weniger Kollegen trauen. Da sind die neuen kafkaesken Mediengesetze, deren Einhaltung ein Medienrat überwacht, der nur aus FIDESZ-Getreuen besteht. Da ist die Allmacht der FIDESZ, die die Justiz gezielt mit ihren Leuten durchsetzt. Längst findet eine »freiwillige« Selbstzensur in den Köpfen der Journalisten statt.

Der Verwurzelte

Gyöngyöspata gehört eigentlich nicht zu den Dörfern, die auffallen würden. Beschaulich, gepflegt, ein wenig langweilig. Doch vor einem Jahr paradierten die uniformierten Rechtsaußen-Horden von »Für eine bessere Zukunft« und die Milizen von »Véderö« (Schutzmacht) ungestört mit Fackelzügen durch den Ort, an den Häusern der Roma vorbei. Sie umstellten deren Viertel, riefen im Chor Hassparolen, übernahmen faktisch die Macht im Dorf.

»Unsere Kinder leiden heute noch darunter. Viele begannen, nachts ihre Betten einzunässen, hatten Albträume. Ihre Angst ist noch heute da«, sagt János Farkas, Chef einer der ältesten Romafamilien im Dorf und Vorsitzender der örtlichen Roma-Selbstverwaltung. »Seit Jahrhunderten lebt meine Familie in dem Dorf. Wir waren schon da, bevor die Türken Ungarn überrannten«, sagt der 51-Jährige. Tradition, die ist ihm wichtig: Seit Generationen spielen die Farkas' Geige. Auch Sohn Zsolt kann das Streichinstrument zum Schluchzen bringen. »Puszta, Gulasch und Zigeunermusik, dafür kennt doch jeder Ungarn«, lacht Farkas.

Seit 1998 hat János Farkas keinen Job mehr. Zuerst ging die Textilfabrik in Budapest pleite, in der er arbeitete. Dann schloss die Konditorei, bei der er die nächsten Jahre sein Geld verdient hatte. »Ich habe keinen Job mehr gefunden. Roma waren die ersten, die entlassen wurden, nachdem es mit dem Boom vorbei war«, sagt Farkas. Seitdem Gelegenheitsjobs, Sozialhilfe und Kindergeld. Der Bezug der Sozialhilfe ist heute mit der Teilnahme an einem Arbeitsdienst verbunden. Damit hat die FIDESZ-Regierung eine Forderung erfüllt, die die rechtsextreme Jobbik gestellt hatte. 150 Euro gibt es für den Arbeitsdienst monatlich vom Staat. Wer sich weigert, verliert für drei Jahre den Anspruch auf Sozialhilfe.

Neulich war Farkas zum Gestrüpp entfernen an Wegesrändern eingesetzt. Natürlich unter Aufsicht von Jobbik-Leuten. Die Rechtsradikalen gefallen sich in der Rolle als Aufseher. Und sie können es sich im Dorf leisten, sie stellen den Bürgermeister. So kommt es zu Absurditäten wie dieser: »Eine Roma schiebt ihren Kinderwagen kurz auf der Straße. Sie bekommt eine Gebühr aufgebrummt, weil sie nicht den Gehweg benutzt hat. Doch der war als Baustelle unpassierbar«, erzählt Farkas.

Farkas' Glauben an »sein« Ungarn hat Risse bekommen, die vielleicht nicht mehr zu kitten sind. Andere haben aufgegeben. Rund 400 Roma leben noch in Gyöngyös-pata. 60 haben nach den Unruhen im vergangenen Jahr das Dorf verlassen. »Wer es schafft, geht nach Kanada«, sagt Farkas. Darunter auch ein Verwandter, ein blinder Geiger. »Gyöngyöspata hat ein Stück seiner Seele verloren«, findet Farkas. »In der Schule haben wir jetzt Rassentrennung. Als die Neonazis durch das Dorf marschierten, hat ein Lehrer zu meinen Enkeln gesagt: ›Wenn ihr nicht spurt, dann holen wir sie in die Schule.‹ Ich schäme mich als Ungar und Europäer, dass das heute passieren kann.«

Die Klägerin

Erzsébet Mohácsi kämpft um Gehör. Und es wird zunehmend schwerer. »In gut einem Drittel aller Grundschulen Ungarns gibt es eine Rassentrennung«, sagt sie. Gyöngyöspata ist ein besonders schwieriger Fall, weiß Erzsébet Mohácsi. Sie leitet die Organisation »Chance for Children Foundation« (CFCF). Gerade läuft der Rechtsstreit. Denn Rassensegregation an Schulen verstößt gegen das ungarische Antidiskriminierungsgesetz. Zehn Prozesse gegen zehn Schulträger hat die CFCF bereits geführt und alle gewonnen. Das klingt gut. Aber für Mohácsi ist es eine Schande, dass es zu solchen Prozessen erst kommen muss. Dass die Regierung nicht mehr Druck macht. Dabei hat Regierungschef Viktor Orbán in Brüssel mehr Bildung und Förderung von Romakindern versprochen.

Das Gegenteil sei der Fall, meint Mohácsi. »Romakinder werden in sogenannte Förderklassen gesteckt. Dort erfahren sie aber keine besondere Förderung, sondern landen auf dem Abstellgleis. In C-Klassen - ›C‹ wie cigani«, meint die Bürgerrechtlerin.

Auf Medienunterstützung kann sie kaum noch bauen. Seit die staatlichen Medien fest in FIDESZ-Hand sind, der Medienrat ausschließlich mit Orbáns Parteileuten besetzt ist, sind andere Themen gefragt.

Sie sieht schon das nächste Problem kommen. »Künftig werden Richter mit 62 Jahren in Rente geschickt. Darunter viele Juristen, die vehement Rassensegregation verurteilt haben«, sagt die Bürgerrechtlerin. Was die neuen Juristen bringen werden? Ziemlich sicher dürfte nur sein: Es werden wohl FIDESZ-Leute sein. Und die haben nach Erzsébet Mohácsis Erfahrungen wenig Interesse an einer Zusammenarbeit mit kleinen Nichtregierungsorganisationen.

Alle vier Jahre liefern die UN-Mitgliedstaaten ihren Bericht zur Menschenrechtslage im eigenen Land ab. »Unsere Mitarbeit sei in keinster Weise von Nöten, machte uns ein Staatssekretär klar. Dass man uns nicht einmal mehr hören will, das ist neu und erschreckend«, sagt Erzsébet Mohácsi.

Bürgerrechtlerin Erzsébet Mohácsi
Bürgerrechtlerin Erzsébet Mohácsi
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