Menetekel am Syntagma-Platz
Demonstranten lasten Suizid eines Rentners der griechischen Regierung an
Dimitris Chrystoulas (77) hatte am Mittwoch um 9 Uhr seinem Leben ein Ende gesetzt. Mitten in Athen, auf dem Syntagma-Platz, schoss er sich in den Kopf.
Der ehemalige Apotheker hatte in einem Abschiedsbrief erklärt, er »finde keine andere Lösung als die eines würdevollen Endes, bevor ich anfange, im Müll zu suchen, um mich zu ernähren«. Grund für seine Notlage, so Chrystoulas, sei, dass sein »Überleben, das durch eine würdevolle Rente gesichert sein sollte, die ich selbst (ohne staatliche Hilfe) über 35 Jahre eingezahlt habe«, bedroht sei. Er soll zudem an einer Krebserkrankung gelitten haben.
Die spektakuläre Tat bringt zugleich die hohe Suizidrate Griechenlands in die mediale Öffentlichkeit. Wegen der schweren Wirtschaftskrise ist in den vergangenen beiden Jahren ein Anstieg der Selbsttötungen um 40 Prozent zu verzeichnen gewesen.
Es habe sich nicht um einen Freitod, sondern um einen »vom Staat verübten Mord« gehandelt, riefen denn auch Demonstranten, die sich auf dem Syntagma-Platz versammelt hatten, um gegen die Sozialabbau-Politik der Regierung zu protestieren. Mehrere tausend Menschen kamen zu dem Ort, an dem sich auch das Gebäude des Parlaments befindet. Die Situation eskalierte, als aus der Menge heraus Brandsätze auf Polizisten geworfen wurden und diese Tränengas einsetzten.
Den Kontrast zu den Zusammenstößen bildete indes die stille Trauer vieler Athener, die des Rentners gedachten. Am Fuß der Zypresse, vor der sich Chrystoulas erschossen hatte, legten sie immer neue Blumen, Kerzen und Trauerbotschaften nieder. Zu lesen war dort: »Getötet durch die Diktatur der Gläubiger« oder »Sein Blut auf euren Händen, Ihr Verräter«.
In Sachen Kampf gegen Diktatur hatte der Syntagma-Platz am 10. Mai 1974 Geschichte gemacht. Damals kettete sich Günter Wallraff als Delegierter des »Ausschusses Griechenland-Solidarität« dort an einen Laternenmast und verteilte Flugblätter gegen die herrschende Militärjunta. Die daraufhin gegen ihn verhängte mehrmonatige Haft beschrieb er in »Griechenland gestern - ein Lehrstück für morgen«.
Dass ein weiteres solches »Lehrstück« derzeit in dem Land am südlichen Ende des Balkans abläuft, haben die Ereignisse um den Tod des verzweifelten Rentners Chrystoulas auf dem Syntagma-Platz erneut deutlich gemacht.
Doch während viele Hellenen längst nicht mehr wissen, wie sie demnächst noch Miete, Essen oder gar »Luxus« wie Urlaub und Auto bezahlen sollen, werden andere von diametralen Kümmernissen umgetrieben. So suchen sich wohlhabende Griechen, die ihr Geld bislang auf Schweizer Konten bunkerten, offenbar als sicherer empfundene Steuerparadiese. Griechenland erhielt 2010 rund sechs Millionen Euro an Steuern, die eidgenössische Behörden auf Zinsgewinne von Griechen in der Schweiz erhoben hatten, wie das Finanzministerium in Athen am Freitag mitteilte. Im Jahr zuvor sei es noch ein doppelt so hoher Betrag gewesen. »Das zeigt eine Tendenz auf, die Depots in Ländern oder Territorien anzulegen, die sich der Anwendung des Gemeinschaftsrechts entziehen«, konstatierte das Ministerium lakonisch.
Athen und Bern verhandeln derzeit über ein Steuerabkommen, das jenen ähneln soll, die die Schweiz mit Deutschland und Großbritannien schloss. Finanzminister Philippos Sachinidis will dafür sorgen, in der Schweiz angelegtes Geld griechischer Staatsbürger besser zu besteuern.
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