Belesen, aber begrenztes Weltbild

Margot Honecker über die Volksbildung in der DDR

  • Günter Benser
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie hatte sich ausbedungen, nur über die Volksbildung zu sprechen. Dass Margot Honecker das nicht strikt einhalten konnte, war abzusehen, versteht sie doch Volksbildung als Gesellschaftspolitik und als ein Feld des Klassenkampfes; in ihrem Verständnis war die Schule mit allen Seiten des Lebens verbunden.

Es war sicherlich wohlbedacht, wenn Frank Schumann den Text nicht als Interview, sondern als Gespräch ausgewiesen hat, denn unübersehbar spielen sich Margot Honecker und er gegenseitig die Bälle zu. Die Vielzahl ausführlicher wortwörtlicher Zitate und statistischer Daten lässt zudem den Schluss zu, dass dieses Gespräch detailliert vorbereitet oder gründlich nachbereitet worden ist. Die Ausführungen zeugen davon, dass die ehemalige Volksbildungsministerin der DDR sehr belesen und auch über Internet gut informiert ist - sowohl über vergangenes als auch über gegenwärtiges Geschehen. Und sie versteht es, dieses Wissen argumentativ einzusetzen. Was Margot Honecker zu sagen hat, wirkt wie aus einem Guss, ohne Risse und Brüche. Das mögen ihr manche als Standhaftigkeit und Konsequenz anrechnen, hier offenbaren sich aber zugleich ihre Grenzen und die mangelnde Bereitschaft, über den eigenen Anteil an der Niederlage der DDR nachzudenken.

Dieses Buch gewährt Einblicke, nach welchen Prinzipien und mit welchen Zielen die Volksbildung der DDR gestaltet wurde. Weltliche, unentgeltliche, staatlich zentral geregelte und einheitlich ausgestaltete Bildung waren ihre tragenden Säulen - ein System ohne Sackgassen in den Bildungswegen, ohne föderalistischen Eigensinn und ohne unablässige Experimente auf Kosten der Schülerinnen und Schüler. Angesichts der Plattheiten und Entstellungen, mit denen uns die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages konfrontiert hat, ist es nicht nur berechtigt, sondern auch zwingend erforderlich, erneut jenes Grundverständnis darzulegen, mit dem Bildung und Erziehung in der DDR betrieben wurden. Kapitelüberschriften wie »Militarisierung der Schule?« »Erziehung der Erzieher«, »Vorschulerziehung«, »Vaterländische Erziehung« etc. zeugen davon, dass ein breites Spektrum von Problemen abgehandelt wird. Erstaunlich ist, dass die polytechnische Ausbildung hier jedoch nicht auftaucht.

Da ich einige Semester Pädagogikvorlesungen gehört habe, meine drei Kinder die Schulen der DDR durchlaufen haben, da ich eine Zeit lang Mitglied eines Elternbeirates war und auch beruflich ab und an mit dem Ministerium für Volksbildung und deren Gremien zu tun hatte, weiß ich die Vorzüge der DDR-Schule zu schätzen und vermag dennoch nicht die dominierenden linearen, widerspruchsfreien Aussagen des Buches mit meinen eigenen Erfahrungen in Einklang zu bringen. Wenn die Volksbildung all das geleistet hat, was ihr Margot Honecker zugutehält, wird es umso unverständlicher, wieso gerade in jener Generation, die unsere Schule durchlaufen hat, die Akzeptanz der DDR im letzten Jahrzehnt derartig abgesunken ist. Natürlich kann die Volksbildung keine Wunder vollbringen, wenn die Gesellschaft als Ganzes in eine Krise gerät. Aber eine ehemalige Ministerin für Volksbildung, die das Nachdenken über einen pluralistischen, humanen, modernen Sozialismus noch heute als »demagogisches Geschwätz« bezeichnet, lässt sich eben auf die systembedingten Schwächen und dogmatische Entgleisungen der DDR nicht ein. Das ist insofern schade, weil es den Abrechnern mit der DDR dadurch leicht gemacht wird, alles Positive zu verdrängen.

Frank Schumann hat in seine Einführung Erinnerungen an die eigene Schulzeit eingebracht; den Band beschließt ein Gespräch mit Patricio Palma über die Schüler- und Studentendemonstrationen in Chile und deren charismatische Sprecherin Camilla Vallejo.

Margot Honecker: Zur Volksbildung. Gespräch mit Frank Schumann, Verlag Das Neue Berlin. 223 S., br., 14,95 €.

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