Harry Belafonte: Reichtum ist langweilig

Harry Belafonte im Jahr 2012 im nd-Interview über die Macht des Künstlers, Occupy Wall Street und sein Verhältnis zu Deutschland

  • Olaf Neumann
  • Lesedauer: 8 Min.
Harry Belafonte
Harry Belafonte

nd: Obwohl Sie selbst in bitterarme Verhältnisse hineingeboren wurden, gelang Ihnen eine unvergleichliche Weltkarriere. Erfüllt Sie das rückblickend mit Stolz?
Belafonte: Wissen Sie, ich habe unter der Armut gelitten, inzwischen bin ich ihr entkommen, aber mental habe ich sie nie hinter mir gelassen. Jeder, den ich kenne und mit dem ich zu tun habe, hat irgendeine Beziehung zur Armut. Ich sorge mich wirklich um die kleinen Kinder, die in Afrika oder Jamaika barfuß durch die Straßen laufen müssen. Oder um die jungen Männer, die ich in amerikanischen Gefängnissen besuche. Die kommen oft aus ärmlichen Verhältnissen und haben es eigentlich nicht verdient, im Gefängnis zu sitzen. Der Knast ist Amerikas Antwort auf die Wirtschaftskrise. In diesem Kontext ist die Armut stets vor meiner Haustür, meine besten Songs handeln von ihr.

Sie sagen, Optimismus sei der Treibstoff Ihrer Hoffnung. Worauf hoffen Sie?
Eine Sache, auf die ich anfangs gehofft hatte, war, dass Präsident Obama in der Lage ist, eine moralische Richtschnur zu ziehen. Die Welt ist zu einem dunklen Ort geworden, und in Amerika hat die Abwesenheit von Moral das Rechtssystem unterminiert. Wenn die Gerechtigkeit in Gefahr ist, dann verfällt die Gesellschaft. Ich hatte gehofft, dass Barack Obama das wieder in Ordnung bringen könnte. Bis zu diesem Moment hat er aber noch keinen Beweis geliefert, ob er die Tragweite des Problems voll verstanden hat.

Sie haben in Hollywood Filme gedreht, Konzerte auf der ganzen Welt gegeben und Millionen Platten verkauft. Aber vor allem haben Sie gegen die Rassentrennung und für die Bürgerrechte gekämpft. Würden Sie rückblickend irgendetwas an Ihrem Leben ändern wollen?
Ja. Ich hätte meine letzte Frau zuerst geheiratet. (lacht) Ich habe schon sehr früh gelernt, dass meine persönliche Herausforderung darin bestand, ein Leben ohne Möglichkeiten ins Gegenteil zu drehen. Ich wollte da raus, ich wollte immer ein erfolgreiches Leben. Aber ich toleriere keine Ungerechtigkeiten. Das ist praktisch in meiner DNA verankert. Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, ist es unmöglich, ruhig zu bleiben. Das waren die Voraussetzungen, dass ich in meinem Leben Leute wie Dr. King, Nelson Mandela, Eleanor Roosevelt, Marlon Brando und Rod Steiger begegnet bin. An diesen Erfahrungen würde ich nichts ändern wollen.

Warum waren ausgerechnet Sie ausgewählt worden, mit Staatsoberhäuptern zusammenzusitzen, die Ihre Meinung hören wollten?
Ich gebe Ihnen dafür mal ein Beispiel: Eines Tages bekam ich einen Anruf von einem Mitarbeiter John F. Kennedys. Er sagte, das Center wolle mit mir reden. Kennedy kam dann zu mir nach Hause. Der Grund seines Besuches war die schwarze Symbolfigur Jackie Robinson, der immer ein Anhänger der Demokratischen Partei war, bis sie ihn eines Tages sehr verärgerten. Daraufhin ging der Baseballstar zu den Republikanern, zu Nixon und Eisenhower. Die Demokarten machte das sehr nervös, weil sie befürchteten, ohne Robinson keine Wählerstimmen aus der schwarzen Community zu bekommen. Also suchten sie nach der nächstmöglichen Persönlichkeit, und die sollte ich sein.

Was haben Sie Kennedy gesagt?
Ich wollte auf keinen Fall als billiger Stimmenfänger dienen. Ich sagte ihm: Wenn Sie eine Richtlinie hinsichtlich der Bürgerrechte für Schwarze erarbeiten und unsere Bewegung wirklich verstehen, dann wüsste ich eine Persönlichkeit, die Sie gern unterstützt. Und so nannte ich ihm Martin Luther King. Kennedy hatte diesen Namen zwar mal gehört, wusste aber nicht, wer Dr. King eigentlich war. Ich glaube, er hatte keine guten Berater. Mit der Zeit gelang es uns, den Demokraten ein umfassendes Bild unserer Bewegung zu vermitteln. Später traf ich auch die Präsidenten Johnson, Carter und Clinton, ich habe aber niemals mit einem Republikaner zusammengearbeitet.

»Ich war kein Künstler, der Aktivist geworden war. Ich war ein Aktivist, der Künstler geworden war«, schreiben Sie in Ihrem Buch. Wie viel Macht haben Künstler?
Mein Mentor Paul Robeson sagte einmal, es sei ein großes Abenteuer, ein Künstler zu sein, denn Künstler haben unvorstellbare Macht. Bedeutender als die Macht ist jedoch die Tatsache, dass Künstler die Pförtner am Tor zur Wahrheit sind. Ihre eigentliche Mission ist, die Wahrheit aufzuzeigen und Menschen emotional zu berühren. Im Zuge meiner Arbeit habe ich festgestellt, wie wenig die weißen Amerikaner über die schwarzen wussten und umgekehrt. Um dem abzuhelfen, habe ich vor zehn Jahren die Anthologie »The Long Road To Freedom« herausgebracht - mit Liedern, die den langen Weg in die Freiheit jener Amerikaner nachvollziehen, die einst als Sklaven aus Afrika gekommen waren. Ich habe in der Welt der Pop-Musik angefangen, aber sie war mir auf Dauer zu oberflächlich. Ich wollte tiefer eintauchen und der Öffentlichkeit auch die verborgene Folk-Musik Amerikas präsentieren. Mein »Banana Boat Song« ist ein Lied über Menschen und eine bestimmte Kultur. Als kleiner Junge habe ich in Jamaika beobachtet, wie schwarze karibische Arbeiter Boote mit Bananen beluden. Und dabei sangen sie solche Lieder. Das vorherrschende Klischee unter Weißen war, dass Schwarze glücklich und fröhlich in ihrer Armut waren. Dieses Bild wollte ich korrigieren und einmal die Wahrheit erzählen. Leute wie Woody Guthrie und Leadbelly taten das übrigens auch.

Was treibt Sie im Innersten an?
Ich hasse es zu sagen, dass ich auf einer Mission bin. Aber wahrscheinlich bin ich es. Die Erfahrung der Armut hat mich streng gemacht, jeder Tag, an dem ich mich nicht engagiere, ist ein verlorener. Armut ist mein Antrieb, Reichtum ist langweilig. Meine Zukunft sieht leider nicht besonders strahlend aus, das Alter ist mit Schmerzen und Qualen verbunden. Ich verliere meine Haare und meine Stimme. Und ich kann auf unebenem Boden nicht mehr laufen, weshalb ich einen Stock benutze.

Und dennoch scheinen Sie voller Energie. Woher kriegen Sie die?
Von jungen Menschen. Ich lebe in New York in einer Gegend voller Schwarzer und Latinos. Dort ist auch die überaus starke Gewerkschaft der Gesundheitsbranche zuhause. Ich glaube, die wichtigste Bewegung in Amerika ist derzeit Occupy Wall Street. Die Banken sind die letzten Überbleibsel des römischen Imperiums, der einzige, der fehlt, ist Nero. Ich glaube, Barack Obama kann nicht mal Harfe spielen.

Wie denken Sie über die Occupy Wall Street Bewegung?
Ich hätte nicht erwartet, dass ich solch eine Bewegung junger Amerikaner noch erleben würde. Ich höre da einen gewissen vertrauten Klang: Die Protestierer sind unzufrieden mit den Verhältnissen, sie schlagen Krach, weil sie keine Jobs bekommen und nicht aus Langeweile. Alles, was man über diese Bewegung sagt, sagte man damals auch über uns Bürgerrechtler. Anfangs vermisste ich hinter Occupy Wall Street die Ideologie, aber gerade das ist das Potente an ihr. Keine dieser neuen Stimmen zitiert Marx, aber alle kritisieren den Kapitalismus. Ich arbeite gerade an einem neuen Film, er heißt »Another Night In The Free World« und wagt einen tieferen Blick hinter die Kulissen von Occupy Wall Street. Die Pluralität dieser Bewegung ist verblüffend. Dahinter stecken nicht nur arme Menschen, sondern auch Harvard- und Yale-Absolventen, Künstler und sogar Gang-Mitglieder. Ich glaube, diese Bewegung wird langfristig wirklich etwas verändern.

Welche Erinnerung haben Sie an Ihren ersten Deutschlandbesuch?
Das war 1957. Ich sollte ein Konzert in Berlin geben, hasste aber die Vorstellung, nach Deutschland zu kommen. Ich mochte nicht, wofür Deutschland stand. Immerhin war ich im Krieg in der Navy gewesen, und nur wenige Jahre danach sollte ich plötzlich in Deutschland auftreten. Diesen Termin wollte ich aus meinem Kalender streichen. Der Boss von RCA Österreich - ein Jude übrigens - rief mich daraufhin an und meinte, ich würde einen Fehler begehen. Erstens sei Deutschland ein wichtiger Markt für einen Sänger wie mich. Zweitens müsste Deutschland sich in eine neue Richtung bewegen, weg von seiner unrühmlichen Vergangenheit. Er sagte, Künstler könnten dabei helfen, die Weltsicht der jungen Deutschen zu prägen. Ich sollte doch hingehen und den Deutschen meine schwarzen und karibischen Wurzeln präsentieren. Wir haben lange debattiert und schließlich willigte ich ein, in Berlin im Titania-Palast aufzutreten.

Welchen Eindruck machte Berlin damals auf Sie?
Als wir in der Stadt eintrafen, standen am Flughafen gerade mal fünf Maschinen. Überall sah man die Silhouetten ausgebombter Gebäude. Mein amerikanischer Bandleader war im Krieg schwer verletzt worden, die Deutschen hatten ihm einen Arm weggeschossen. Er wollte aber unbedingt dieses Konzert dirigieren. Er schaute aufs Orchester und sagte verbittert: »Welcher von diesen Bastarden hat auf mich geschossen?« Die Stimmung war äußerst angespannt. Vor unserem Hotel hatte sich eine riesige Menschenmenge versammelt, die meisten waren blond. Was sie skandierten, klang aus der Ferne wie »Sieg heil!« In Wirklichkeit war es aber »Harry, Harry!«

Hatten Sie mit solchen Reaktionen gerechnet?
Nun, das Publikum im Theater war zuerst sehr ruhig, bis ich »Hava Nagila« sang - ein hebräisches Volkslied (beginnt mit heiserer Stimme zu singen und auf dem Tisch zu trommeln). Noch bevor ich bei der zweiten Strophe war, begann das Publikum, den Text mitzusingen. Ich glaube, dieser Abend in Berlin war meine zweitgrößte Offenbarung. Eine wirklich seltsame Geschichte: Ich als schwarzer Amerikaner, der zu Hause gegen die Rassentrennung kämpfte, sang auf einmal jüdische Lieder zusammen mit Menschen, dessen direkte Vorfahren die Juden vernichten wollten. Das war das neue Deutschland! Ich wurde sogar gebeten, für eine zweite Show zu bleiben, diesmal sollte ich nur für Leute aus dem Ostsektor singen.

Dennoch sollte es fast 20 Jahre dauern, bis Sie wieder nach Deutschland kamen.
Das hatte damit zu tun, dass ich mich in Amerika immer stärker für die Bewegung engagierte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen gegenüber Martin Luther King und den anderen Freunden. Während sie zu Hause inhaftiert wurden, sang ich in Paris und Berlin. Als ich schließlich wiederkam, war Fritz Rau mein Impresario. Die Tour sollte in Hamburg starten, am selben Tag starb jedoch mein Vater, also musste ich sie verschieben. Ich bin glücklich, dass ich die Chance hatte, dabei zuzusehen, wie Deutschland sich veränderte. Mein allerletztes Konzert habe ich übrigens hier in Hamburg gespielt, das war 2004.

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