Bei Abschiebung Zwangsheirat
Der Indonesier Herry H. hofft auf Berlins Petitionsausschuss
Das Schicksal von Herry H. liegt in den Händen des Berliner Petitionsausschusses. Der entscheidet darüber, ob der 32-jährige Indonesier in sein Herkunftsland abgeschoben wird. In Indonesien droht ihm die Zwangsverheiratung mit einer Frau, die seine Familie für ihn ausgesucht hat. Doch Herry H. ist schwul und will selbstbestimmt leben. »Das ist in Indonesien nicht möglich«, sagt der schmächtige Mann mit dem fast noch kindlichen Gesicht, der aus dörflichen Verhältnissen stammt. Die ganze Großfamilie - Großeltern, Eltern, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen - wohnte in einem Haus, jede Kleinfamilie in einem einzigen Zimmer. »Die Familie war streng strukturiert, jeder hatte seine Rolle auszufüllen«, erzählt Herry H. Individualität hatte sich unterzuordnen.
Das merkte Herry H. früh. »Ich habe gern meiner Mutter in der Küche geholfen.« Doch das stand einem Jungen nicht zu. Der Großvater habe ihn aus der Küche gezogen und mit Telefonkabeln geschlagen. »Nicht nur einmal«, sagt der heute 32-jährige. Die Schläge wirkten. »Ich habe gelernt, mich wie ein Mann zu verhalten, mich selbst aber dafür verachtet.« Doch was er fühlte, interessierte nicht.
Herry H. sitzt im Büro des Berliner Lesben- und Schwulenverbandes, während er erzählt. Geschäftsführer Jörg Steinert bringt Kaffee und Wasser. »Bei den Stichworten Indonesien und Zwangsheirat dachte ich, Herry stamme aus einer muslimischen Familie«, sagt er. Schließlich ist der Islam dort vorherrschende Religion. Doch das erwies sich als Klischee; Zwangsheirat hat mit dem Islam nichts zu tun. Herry H. stammt aus einer katholischen Familie, die vor Generationen aus China eingewandert ist.
Auch in der deutschen Geschichte gab es Zwangsehen. Friedrich Schiller hat darüber in »Kabale und Liebe« geschrieben. Noch Ende des 19. Jahrhunderts erzählte Theodor Fontane in »Effi Briest« über eine arrangierte Ehe und einen Ehrenmord. Zwangsehen sind Merkmale traditioneller Gesellschaften, in denen sich der Einzelne bedingungslos dem Willen des Familienoberhauptes unterordnen muss. Solche traditionelle Gesellschaften existieren heute noch in vielen Staaten, sowohl unter Moslems, Christen, Buddhisten als auch unter Konfessionslosen.
Der Gedanke, schwul zu sein, kam Herry H. in Indonesien nicht. »Dort gilt Homosexualität als ansteckende Krankheit. Wie sollte ich mich angesteckt haben?« Auch unter seinen Landsleuten in Berlin sei diese Meinung verbreitet, erzählt der Mann, der immer wieder nach Worten sucht. Nicht, weil er schlecht deutsch sprechen würde, sondern weil er Teil zweier Kulturen ist, die miteinander nicht zu vereinbaren sind: einerseits die Berliner Schwulenszene, deren Solidarität er derzeit erlebt. Er wird vom Lesben- und Schwulenverband politisch unterstützt. Andererseits ist da seine Herkunftskultur. Die Familie, die er liebt und gleichzeitig belügt, die ihm als Kind Geborgenheit gab, die trotz Armut lange ein Studium in Deutschland finanzierte, die ihn aber nicht so akzeptiert, wie er ist.
»Als ich zum Studium nach Berlin kam, habe ich zuerst die Rolle ausgefüllt, die meine Familie mir aufgegeben hat«, sagt Herry H. »Ich sollte hier nur studieren, nicht aber die westliche Lebensweise annehmen. Mit dem Diplom sollte ich zu meiner Familie zurückkehren, heiraten, einen guten Job und Kinder bekommen.« Herry H. hatte zunächst gute Leistungen im Studium. »Ich hatte das asiatische Denken verinnerlicht, dass ich eine Eins schaffen kann, wenn mein Landsmann das auch schafft.« Die inneren Konflikte begannen, als er 2004 die Familie in Indonesien besuchte. »Ich spürte, dass die mir zugedachte Rolle nicht meine Rolle ist.«
Zurück in Deutschland, ging Herry H. zum ersten Mal zu einer schwulen Männergruppe. Er sprach den Gedanken aus, schwul zu sein. Und wurde nicht als krank abgetan. Er selbst war es, der das wieder verwarf. Sein zweiter Besuch bei der Schwulengruppe fand ein ganzes Jahr später statt. Dazwischen lag viel Zeit, in der er über Büchern seine Identität zu vergraben versuchte. »In Indonesien war ich seit 2004 nie wieder. Dort passe ich nicht mehr hin.«
Sein Studienfach Elektrotechnik hatte Herry H. nicht selbst gewählt. Seine Familie hatte es so bestimmt. »Es lag mir eigentlich gar nicht.« Und so zog sich das Studium ungewöhnlich lange hin. So lange, dass ihn die Ausländerbehörde schon 2010 wegen Überziehung der Regelstudienzeit abschieben wollte. Die Härtefallkommission ermöglichte ihm ein Jahr weiteren Aufenthalt in Deutschland. Schließlich fehlten nur noch wenige Examen.
Doch dann kam das Burn-out. »Mein Körper hat alles abgelehnt, was ich nicht selbst bin, sondern was mir von meiner Familie aufgedrängt wurde«, erzählt er. »Ich wollte nicht Elektrotechniker werden, sondern Koch.« Herry H. fand eine Lehrstelle bei einer großen Hotelkette. Aber weil seine Aufenthaltserlaubnis abgelaufen war, darf er sie bis heute nicht antreten. Erneut wandte er sich an die Härtefallkommission, diesmal wegen der drohenden Zwangsehe. Die befürwortete ein Bleiberecht. Innensenator Frank Henkel (CDU) sah das anders.
Zwangsverheiratung von Männern stehe als Thema nicht im Blickpunkt der Öffentlichkeit, bedauert Jörg Steinert. »Erst 2011 hat der Bundestag ein Gesetz zum besseren Schutz vor Zwangsverheiratung beschlossen und seine Absicht betont, Opfer besser zu schützen. Vor diesem Hintergrund und auch im Hinblick auf die Geschichte der Verfolgung Homosexueller in Deutschland ist es dringend geboten, Herry H. eine Aufenthaltsperspektive zu geben.« Die fordern auch der Berliner Flüchtlingsrat und der Humanistische Verband Deutschlands. Die Entscheidung liegt beim Parlamentsausschuss.
Im Internet kann man eine Online-Petition für das Bleiberecht von Herry H. unterzeichnen:
http://www.openpetition.de/petition/online/bleiberecht-fuer-herry-h
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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