»Gigi« und die Kameraden
Der traditionelle Angstblick nach links verhinderte die Abwehr von NSU-Terror
Otto Schily (SPD), 1998 bis 2005 Bundesinnenminister, übernimmt die politische Verantwortung dafür, »dass wir der NSU-Terrorgruppe nicht früher auf die Spur gekommen sind«. Denn, so las man ihn gestern: Es sei falsch gewesen, schon am Tag nach dem Kölner Nagelbombenanschlag des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) im Juni 2004 zu behaupten, dass es keinen terroristischen Hintergrund gebe. Und nun? Tritt er zurück, der Pensionär Schily?
»Ausländerkriminalität«, »Milieu-Morde«, »Mafia-Rache« oder »Roma-Killer« - all das schien glaubhaft. Wieso ist es Schily und seinen Untergebenen gar nicht in den Sinn gekommen ist, dass womöglich Rechte mordend durch Deutschland ziehen? Dabei hatte es im Nachkriegs-Deutschland (West) durchaus schon diverse Mordtaten von Neonazis gegeben. Dass es bei manchem Ermittler gerade noch zum Ermittlungstitel »Dönermorde« reichte, ist gewiss auch dem latenten Rassismus in unserer Gesellschaft anzulasten. Doch in den Chefetagen?
Womöglich konnte man sich da, geprägt durch die Erfahrungen mit der »Rote-Armee-Fraktion« (RAF), gerade noch eine »Braune-Armee-Fraktion« vorstellen? Die es nicht gab, denn die Übertragung von Strukturen des Links- auf den Rechtsterrorismus war spätestens seit den 90er Jahren untauglich, um die bereits bestehende Neonazi-Gefahr zu erkennen. Während die RAF-Linksterroristen über eine Kommandoebene mit 15 bis 30 Personen, über bis zu 50 »illegale Militante« und ein Umfeld von bis zu 200 Leuten verfügten, setzten die militanten Neonazis auf das in den USA erprobte Konzept des »führerlosen Widerstandes«.
Wichtig ist ein Netz von Kleingruppen, die vor allem durch eine gemeinsame ideologische Ausrichtung verbunden sind. Kommandostrukturen sind verräterisch. Das Modell wurde und wird durch das globale rassistische Netzwerk von »Blood & Honour« angewandt, mit dem der NSU gerade in Sachsen Kontakt pflegte.
Den ideologischen und organisatorischen Zusammenhalt schafft man beispielsweise durch Musik. Wer also versucht, das NSU-Netzwerk zu begreifen, muss sich auch mit dieser Szene befassen - und stößt auf Erstaunliches, beispielsweise auf den Song vom »Döner-Killer«. Im Juni 2010 erschien er auf dem Album »Adolf Hitler lebt« von »Gigi & die braunen Stadtmusikanten«. Wüsste der Neonazi-Liedermacher Daniel »Gigi«-Giese aus Meppen nichts über den Zusammenhang zwischen der »Zwickauer Zelle« und der Neonazi-Mordserie, die bei der Polizei unter »Dönermorde« firmierte? Das Album ist in Chemnitz produziert worden. Dort waren das Mördertrio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt untergetaucht, dort hatten sie Kontakte zur Musikszene von »Blood& Honour«. Zu der Szene gehört ein gewisser »Laschi«. Dass der Betreiber des Labels Backstreet Noise und Mundlos sich gut kannten, ist polizeiamtlich.
Den Zusammenhalt der Neonazi-Gruppen stellt man auch über einschlägige Publikationen her. Meist per Internet. Beispiel: »Der weiße Wolf« aus Neustrelitz. Das Hetzblatt feierte den »Nationalsozialistischen Untergrund« schon 2002, als noch niemand den Begriff kannte. Zitat: »Vielen Dank an den NSU - es hat Früchte getragen. Der Kampf geht weiter.« Dass er der Urheber oder zumindest zu dieser Zeit schon der »verantwortliche Wolf« war, leugnet der heutige NPD-Landtagsabgeordnete David Petereit vehement.
Das erfolgreiche Konzept des »führerlosen Widerstandes« zu begreifen, ist eigentlich nicht so schwer - wie Schilys Kampf gegen den islamistisch geprägten Terrorismus zeigt. Doch im Innern konzentrierten sich die Sicherheitsverantwortlichen traditionell lieber auf die »linke Gefahr« und verharmlosten die rechte Szene.
So ist es - trotz NSU - noch immer. Jüngst stellten Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) und sein LKA-Präsident Jörg Michaelis aktuelle Zahlen zur Politisch motivierten Kriminalität vor. Links ist gefährlich, steht in der mehrfach gefälschten Statistik. Und rechts? Während Ulbig 84 rechtsmotivierten Gewalttaten zusammenzählt, ermittelte die Opferberatung des RAA Sachsen e.V. im vergangenen Jahr 186 Fälle.
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