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Ungarn in der Wagenburg?

Magdalena Marsovszky über die politische Kultur unter der FIDESZ-Regierung

  • Detlef D. Pries
  • Lesedauer: 4 Min.
Magdalena Marsovszky
Magdalena Marsovszky

nd: Sie wurden im vergangenen Jahr in einer FIDESZ-nahen Zeitung unter anderem als »Mistkäfer« tituliert. Entspricht das dem Stil der politischen Auseinandersetzungen in Ungarn?
Marsovszky: Diese Art der Angriffe, diese »Biologisierung« des Kontrahenten ist leider durchaus typisch. Der Feind wird auf solche Weise sozusagen dehumanisiert. Ich wurde auch schon als »entartet« und als »Ausbund menschlicher Verruchtheit« bezeichnet. Diese Wortwahl war einst typisch für die NS-Sprache. So etwas mag man in Deutschland heute nicht mehr kennen, aber in Ungarns sogenannten national gesinnten Medien ist das leider gang und gäbe.

Womit haben Sie sich diese Anwürfe, diese Feindschaft eigentlich verdient?
Ich schreibe über Ungarn, bemühe mich aber, wissenschaftlichen Abstand zu wahren. Das heißt, ich polemisiere nicht und meide jeden beleidigenden Ausdruck. Aber wer das kritisiert, was ich als »völkisches Denken« bezeichne, wer nicht so »patriotisch« ist, wie das in Ungarn gerne gesehen wird, der wird als Feind beschimpft. Leider sind einige so starken Anfeindungen ausgesetzt, dass sie aus Ungarn fliehen, wie kürzlich der Schriftsteller Ákos Kertész. Ehrlichkeitshalber muss ich erwähnen, dass auch er wegen eines biologistischen Begriffs an den Pranger gestellt wurde. Doch das, was bei ihm ohne Zweifel ein Ausrutscher war, ist bei den »national Gesinnten« tägliche Praxis. Was mich betrifft, fühle ich mich geehrt, zu einem Kreis von Menschen gezählt zu werden, die ich als sehr aufrichtig schätze.

Was finden Sie Kritikwürdiges am ungarischen Patriotismus, an dem »völkischen Denken«, wie Sie es nennen?
In diesem Denken sind die Magyaren - die als Blutsgemeinschaft einer organisch entstandenen Nation verstanden werden - stets Opfer der Geschichte, ihrer äußeren und inneren Feinde. Das ist ein Mythos. Darüber hinaus wird die ethnisch reine Nation propagiert. Dieses Volkstumsdenken ist nicht demokratisch, denn es grenzt Menschen aus, die vermeintlich nicht zu dieser magyarischen Blutsgemeinschaft gehören. Daraus resultieren Antisemitismus und Antiziganismus. Diese Ausgrenzungstendenzen sind deutlich zu erkennen.

Und solches Denken wird von offizieller Seite gefördert?
Leider absolut. Schon die neue Verfassung ist eine völkische, eingeleitet durch ein »nationales Glaubensbekenntnis«. Der stellvertretende Ministerpräsident Zsolt Semjén beispielsweise, Chef der Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP), ist eigentlich für nationale Integration zuständig, befördert aber die Ausgrenzung. Semjén spricht, ohne das Wort zu benutzen, eigentlich vom Ariertum der Magyaren. Einen anderen Begriff finde ich dafür nicht. Es handelt sich um eine konstruierte Identität der Ungarn als eine kulturwissenschaftlich »weiße«, homogene Gemeinschaft. Alles was »dreckig« ist, was nicht heilig ist, was an die dunkle Epoche erinnert, wird ausgeklammert. So blendet man auch die ungarische Beteiligung am Holocaust aus und hebt stattdessen die Rettung von Juden hervor. Damit einher geht die Gleichstellung der faschistischen mit der kommunistischen Vergangenheit, die eigentlich auf die Relativierung des Holocaust hinausläuft. Das ist die Richtung der ganzen Regierungskommunikation.

Worin sehen Sie die Wurzeln dieses Ausbruchs von Nationalismus und nationalem Mythos?
Nach meiner Ansicht wurzelt dieses Denken schon in der kulturellen Tradition des Landes seit dem 19. Jahrhundert. Sie mündete in der Beteiligung am Holocaust und wurde auch während des Realsozialismus nicht aufgearbeitet, weil diese Ordnung für sich den Antifaschismus in Anspruch nahm und deshalb mit dem Holocaust nichts zu tun haben wollte. Und danach wurde dieses nationalistische Denken weiter kultiviert.

In zweiter Linie sehe ich darin auch ein Versäumnis von europäischer Seite. Nach der Wende 89/90 wurden zwar die Marktwirtschaft in Ungarn eingeführt, aber die Entwicklung der Demokratie hat damit nicht Schritt gehalten. So hat sich ein wilder Kapitalismus breit gemacht, während die Gewerkschaften bis heute unterentwickelt geblieben sind, so dass sie die Rechte der Arbeitnehmer nicht schützen können. Damit hat sich eine antikapitalistische Stimmung entwickelt, die - ohne demokratische Schutzmechanismen - in dieses völkische Denken umschlägt.

Anfangs des Jahres gab es immerhin große Kundgebungen gegen die FIDESZ-Regierung und ihre Allmacht. Lässt Sie dieser Widerstand hoffen?
Auf jeden Fall, aber leider fehlt es diesem Widerstand an ausgeprägten demokratischen Zielen, an einer radikalen demokratischen Linie. Er ist mehr gegen etwas, gegen diese Regierung, als für etwas Konkretes. Immerhin wurde für die Republik demonstriert, und das macht Hoffnung.

Die EU hat verschiedene Verfahren gegen Ungarn eingeleitet. Könnte dieses Vorgehen eine Art Wagenburgmentalität fördern, eine Verteidigungshaltung der »Volksgemeinschaft«?
Diese Mentalität gibt es bereits. Aber ohne Druck geht es nicht mehr. Man kommt nicht umhin, alle Mittel einzusetzen, um eine Demokratisierung zu erreichen. Bildungspolitik und Kulturpolitik sind noch immer nationale Angelegenheiten. So kommt es denn zu dieser Täter-Opfer-Umkehr, die auch in anderen Ländern zu beobachten ist. Aber dass SS-Verbände als Freiheitskämpfer gefeiert werden, das darf in Europa nicht passieren. Deshalb bedarf es nach meinem Empfinden einer gemeinsamen kulturpolitischen Strategie.

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