»Spionage« und »terroristische Akte«
Vor den serbischen Wahlen wird Kosovo zum Mikrokosmos machtpolitischer Ambitionen
Deutschland und Österreich verstärken ihre militärische Präsenz in Kosovo. Das bestätigte diese Woche das Verteidigungsministerium in Wien. Demnach kommen auf Anforderung der KFOR 700 frische Soldaten großteils in das mehrheitlich von Serben bewohnte Gebiet nördlich des Flusses Ibar, 550 davon über das Einsatzkommando in Potsdam.
Der zusätzliche Militäreinsatz soll Unruhen vor den am 6. Mai stattfindenden serbischen Präsidenten-, Parlaments- und vor allem Kommunalwahlen eindämmen; und wohl auch dazu dienen, die Serben in Kosovo am Wahlgang für das lokale Votum zu hindern. Die seit 2008 von UNO und EU »überwachte Unabhängigkeit« Kosovos hat eine Struktur hinterlassen, die Konflikte wie den gegenwärtigen geradezu herausfordert. Denn während in Priština eine albanische Regierung - unter Beobachtung zweier Hoher Repräsentanten von UNO und EU - eigenständige Staatlichkeit simuliert, versprechen in Serbien die Parteien ihren Wählern, ein unabhängiges Kosovo niemals zuzulassen, bevor sie regelmäßig vor dem Druck aus dem Westen einknicken. Dass selbst die EU in Sachen kosovarischer Staatlichkeit geteilt ist - fünf Mitglieder erkennen Kosovo nicht an - wird in deutschsprachigen Medien tunlichst nicht erwähnt.
Die Vorgeschichte der jüngsten Eskalation reicht in den Juli 2011 zurück. Damals stürmte ein kosovo-albanisches Sondereinsatzkommando nach Nordkosovo, um sich die Hoheit über die Grenzübergänge nach Serbien zu sichern, die von serbischer Seite als solche nicht anerkannt werden. In diesen Zollkonflikt mit seinen wechselseitigen Importverboten griff die KFOR für Priština ein, es gab Verletzte auf allen Seiten.
Seither ist die Situation angespannt. Mitte Februar 2012 hielten die Serben in Kosovo ein international nicht anerkanntes Referendum zum Verbleib Kosovos bei Serbien ab. Die 99,7-prozentige Zustimmung kam nicht überraschend und stellte klar, dass mit der serbischen Bevölkerung kein albanischer Staat zu machen ist.
Seit Wochen häufen sich Vorfälle an den ethnischen Grenzlinien. So verhafteten Ende März 2012 albanisch-kosovarische Polizisten vier Serben in der Gemeinde Vitina, weil die versucht hatten, Wahlzettel und Wählerlisten für die serbischen Wahlen am 6. Mai nach Kosovo zu bringen. In mutmaßlicher Reaktion darauf ließ das serbische Innenministerium zwei Albaner wegen »Spionage« verhaften. Kurze Zeit später wurde in Nordkosovo ein Albaner ermordet, was in Priština sogleich als »terroristischer Akt« bezeichnet wurde. Am 23. April fielen Schüsse gegen eine serbisch-slowenische Organisation in Mitrovica, die Sachschaden anrichteten.
Prištinas Priorität lautet, serbische Wahlen in Kosovo zu verhindern. Diese untergrüben - in der Logik der kosovarischen Staatlichkeit verständlich - die Territorialität des Landes. Die USA und Deutschland sehen das genauso. Dementsprechend groß ist der Druck, der auf Belgrad ausgeübt wird. »Von der internationalen Gemeinschaft wird Druck auf Serbien ausgeübt (...), aber die Idee, dass jemand an unserer statt die Wahlen organisieren und Priština zustimmen soll, ist inakzeptabel«, meinte Serbiens Innenminister Ivica Dačić von der Sozialistischen Partei. Sein Ministerkollege für Kosovo und Metochien, Goran Bogdanović von der Demokratischen Partei, gab nach heftiger Bearbeitung durch die westlichen Institutionen klein bei. Noch am 31. Januar sagte er, Serbien werde Wahlen auf allen Ebenen selbstverständlich in Kosovo organisieren, während er kurz vor der Abstimmung erklärt, dass Belgrad in Kosovo keine Kommunalwahlen abzuhalten gedenke.
Die Kosovo-Serben lassen sich davon nicht beeindrucken. Der Chef der Gemeinde Kosovska Mitrovica, Krstimir Panic, ließ am 17. April über die Agentur Beta ausrichten, dass im Norden Kosovos serbische Lokalwahlen stattfinden werden. In den serbischen Positionen ist freilich auch Wahlkampfrhetorik zu erkennen: Nationale und radikale Parteien halten wenig von den Versprechungen aus Berlin, Wohlverhalten werde die EU-Aufnahme beschleunigen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.