Zweifel an Staatsferne
MEDIENpolitik: Russlands öffentlich-rechtlicher TV-Kanal geht 2013 auf Sendung
Unter dem Druck der Massenproteste wegen Manipulation der letzten Wahlen erfüllte Noch-Präsident Dmitri Medwedew jetzt sogar die Uralt-Forderung von Zivilgesellschaft und liberaler Opposition nach einem öffentlich-rechtlichen TV-Kanal, der auch ihnen eine Tribüne bietet. Denn derzeit sind alle überregionalen russischen TV-Sender in Staatsbesitz oder staatsnah und laut Mediengesetz nur zur Berichterstattung über die in der Duma vertretenen Parteien verpflichtet.
Sendestart für das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist am 1. Januar 2013, wenn in ganz Russland das digitale Zeitalter anbricht. Regimegegner, kritische Journalisten und unabhängige Medienexperten sind skeptisch. Vor allem, was die Staatsferne angeht, für die sich Medwedew ins Zeug legte, als er den Gründungserlass unterzeichnete. Denn der Ukas untersagt Abgeordneten und Beamten zwar ausdrücklich die Bewerbung um einen Sitz im Rundfunkrat. Doch dessen Vorsitzenden ernennt der Präsident. Als chancenreichster Bewerber gilt der derzeitige Chef des staatlichen Auslandsradios: Golos Rossiji (Stimme Russlands). Dazu kommt, dass der Sender sich aus dem Staatshaushalt finanziert. Nur in der Startphase, hieß es im Präsidentenamt, dann setze man auf private Spenden. Denn Rundfunkgebühren wie in Deutschland wagen die Politiker den Wählern nicht zuzumuten und Einnahmen aus Werbung untersagen die Statuten.
Statt anspruchsvoller Dokumentationen, die eigentlich Markenzeichen des neuen Kanals werden sollen, dürften daher Talkshows, deren Produktion sehr viel billiger ist, das Programm prägen. Zwar hat Russland, soweit es die Politik betrifft, daran immensen Nachholbedarf. Der letzte, kontrovers geführte und live ausgestrahlte Talk wurde im Vorfeld der Parlamentswahlen 2003 abgesetzt. Doch der Neustart könnte zum Quotenkiller werden: Das Programmkonzept verlangt Ausgewogenheit und von den Machern jeder einzelnen Sendung Bemühungen um Konsens.
Bei kritischen Journalisten wie Alexei Wenediktow, Chefredakteur von Radio »Echo Moskwy«, oder Swetlana Sorokina, bis zur Putin-Ära das Gesicht des Staatssenders RTR, äußerten bereits ihre Bedenken zu dieser Art von Harmoniesucht. Andere Profis fürchten, Journalisten, Kameraleute und Cutter seien nach mehr als zehn Jahren staatlicher Indoktrinierung gar nicht mehr in der Lage, mit regimekritischen Standpunkten fair und objektiv umzugehen und verweisen dabei - zu Recht - auf die Berichterstattung staatlicher und staatsnaher TV-Sender von den Massenprotesten.
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