Und die CDU war beleidigt

Die Gewerkschaften demonstrierten für höhere Löhne und gegen Leiharbeit

  • Marcus Meier, Dortmund und Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 6 Min.

Nordrhein-Westfalens zentrale Kundgebung (es gab insgesamt 77) im Dortmunder Westfalenpark stand im Zeichen des Kampfes gegen Neonazis und der Landtagswahlen. Bewusst hatten die DGB-Gewerkschaften nach Dortmund mobilisiert - hier fanden in den letzten Jahren mehrere politisch motivierte Morde statt, hier wurde 2009 eine 1.-Mai-Demo brutal von 400 Neonazis überfallen. Hier befindet sich jedoch auch die »Herzkammer der Sozialdemokratie« (Herbert Wehner), was jedoch gewiss nicht der einzige Grund war, weshalb NRW-Ministerpräsidentin und SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft als Hauptrednerin auftrat. Kraft sprach durchaus kämpferisch, setzte ein paar linke Duftmarken - und übte milde Kritik an der Agenda-SPD: Auch die habe die Schleusen geöffnet für Leih- und Zeitarbeit. Das sei zwar gut gemeint gewesen, doch die Unternehmen hätten »es missbraucht«. »Sozial ist nur das, was gute Arbeit schafft«, rief Kraft unter dem Jubel der Zuhörer.

Noch stärker war der Applaus, als Kraft eine Finanztransaktionssteuer gegen Spekulation und abstrakt mehr Steuergerechtigkeit forderte sowie die europäische Solidarität beschwor. Den Rest ihrer Rede nutzte sie für eine Bilanz ihrer gescheiterten Minderheitsregierung (»Rot-Grün hat viel erreicht!«) und für Wahlkampfversprechen: Ausbildungsplatzgarantie, eine Chance für alle Kinder, Beschäftigungssicherung mit und trotz Energiewende, null Schulden, ein gesicherter Industriestandort - die Liste ihrer Ankündigungen war ebenso lang wie der Schlussapplaus.

Scharfe Attacken ritt DGB-Landeschef Andreas Meyer-Lauber gegen CDU und FDP. Der »lieben Hannelore« bescheinigte er indes, im Kern gute Arbeit geleistet zu haben. Nach dem 13. Mai dürfe sie nicht vom Kurs abweichen. Schließlich gebe es in NRW 700 000 Beschäftigte und 200 000 Leiharbeiter. Prekäre Beschäftigung sei auf dem Vormarsch, betonte der Gewerkschaftsboss. Meyer-Lauber forderte einen Kurswechsel in Europa und Investitionen »für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung«.

Röttgen wollte nicht in Moers reden

Erst in der letzten Woche - knapp drei Jahre nach der Tat - begann der Prozess gegen zwei Neonazis, die zusammen mit 400 Kameraden den 1. Mai-Aufzug des DGB in Dortmund überfallen hatten. Die Polizei war seinerzeit völlig überrumpelt - obwohl Dortmund schon damals als rechte Hochburg mit einer extrem militanten Nazi-Szene galt. Auf einem DGB-Kongress in Dortmund am 28. April forderte DGB-Landeschef Meyer-Lauber, »der Verfolgungsdruck auf rechtsmotivierte Straftäter« müsse erhöht werden: »Es darf einfach keinen Spaß machen, in NRW ein Nazi zu sein!« Es gebe viele gute Projekte in NRW gegen Rechtsextremismus, die zu schlecht oder nur befristet finanziert werden. »Damit Initiativen wie die mobilen Beratungen Wirkung zeigen, brauchen sie eine langfristige Zusage und eine auskömmliche Finanzierung.«

Auch in anderen NRW-Städten begingen die Gewerkschaften den 1. Mai mit größeren Kundgebungen, wobei oft prominente Sozialdemokraten sprachen. Im Vorfeld für Unmut gesorgt hatte der Mangel an CDU-Rednern. Die konservative Partei warf dem DGB im Vorfeld vor, Wahlkampfhilfe für die SPD zu betreiben - wenige Tage vor der Landtagswahl am übernächsten Sonntag. »Das ist ein Verstoß gegen das Prinzip der Einheitsgewerkschaft«, monierte Karl-Josef Laumann, Bundesvorsitzender der CDU-Sozialausschüsse, Ex-Arbeitsminister des Landes und bis zur Auflösung des Landtages CDU-Fraktionschef. DGB-Landeschef Andreas Meyer-Lauber räumte ein, es sei ein »unschönes Ergebnis«, wenn kein Christdemokrat rede. Doch habe der DGB dem CDU-Spitzenkandidaten Norbert Röttgen ein »faires Angebot« unterbreitet. Nach Meyer-Laubers Darstellung wollte Röttgen jedoch in Recklinghausen sprechen - das sei nicht mehr organisierbar gewesen. Das Angebot, in Moers aufzutreten, habe der Bundesumweltminister indes ausgeschlagen.

Auf der DGB-Kundgebung in Remscheid sprach Gregor Gysi. Der Chef der Bundestags-Linksfraktion warnte vor den Auswirkungen der europäischen Krise: »Die Regierenden in Europa sind dabei, Europa als soziale Idee zu zerstören.« Alle diskutierten nur über Einsparungen und Ausgabenkürzungen, so Gysi. Und noch nie brauchten wir so viel Solidarität innerhalb der Gesellschaft und zwischen den europäischen Gesellschaften, einschließlich der griechischen Gesellschaft.

Streikankündigung in der Hamburger Sonne

Der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber kündigte auf der Hamburger Maidemonstration eine heute beginnende »massive Warnstreikwelle« an, um die Gewerkschaftsforderung nach 6,5 Prozent mehr Lohn zu unterstreichen. Gleichzeitig bezeichnete Huber den 1. Mai als »Tag der Verpflichtung, dass wir in Europa gerechtere Verhältnisse schaffen«.

Gut 3000 Demonstranten sind durch den Hamburger Stadtteil St. Pauli gezogen: Von der Reeperbahn hinunter zum Fischmarkt am Hafen, wo auch viele Nichtdemonstranten den Sonnenschein an der Elbe genossen. Das Klima bei den Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektrobranche ist dagegen eher frostig. »Drei Prozent auf 14 Monate ist kein Angebot, sondern eine Provokation«, bewertete Huber die Offerte der Unternehmerseite und drohte: »Wenn wir bis Pfingsten kein Ergebnis haben, heißt das: Urabstimmung und Streik.« Als er daneben die Forderung nach einem gesetzlichen Mindeststundenlohn von 8,50 Euro bekräftigte, rief ein Fahnenträger der MLPD »Zehn Euro!« dazwischen. Dezenter hielt die LINKE die gleiche Forderung auf einem Transparent hoch.

Im Hintergrund rief das Plakat eines Schnapsfabrikanten zur parallel stattfindenden Krabbenpul-Weltmeisterschaft auf. Ein starker Kontrast zum Transparent, das von einer Brücke hing und die »sofortige Stilllegung aller Atomanlagen und der herrschenden Klasse weltweit« forderte.

Die 200 Beschäftigten der Hamburger und Rotenburger Verpackungsfirma »Neupack« wären vorerst mit einem Tarifvertrag zufrieden, den das Familienunternehmen seit 50 Jahren verweigert. »Löhne werden unterschiedlich verteilt, einige bekommen nach 33 Jahren gerade 8,40 Euro pro Stunde, und auch das kann jederzeit gesenkt werden«, berichtete der Betriebsratsvorsitzende Murat Günes, der ein rotes Käppi mit der Aufschrift »Wir wehren uns« trug und von einem guten Dutzend Kollegen begleitet wurde. 2011 beschloss die Belegschaft, sich zu organisieren, mittlerweile sind über 70 Prozent der Arbeiter in der Gewerkschaft. »Der Betriebsrat wird mit Klagen überzogen, der Unternehmer hat schon seine Abteilungsleiter versammelt und mit Kündigungen gedroht«, schilderte Rajko Pientka, der sich als Sekretär der IG Bergbau, Chemie, Energie für die Neupack-Beschäftigten einsetzt: »Die Belegschaft braucht auch massive Unterstützung von außen.« Am Montag will eine Betriebsversammlung das weitere Vorgehen beraten.

Michael Sommer sammelte derweil Solidaritätsunterschriften »gegen die Billigarbeit in den Hamburger Musical-Theatern«. Vor allem für die Ankleiderinnen und Ankleider im Operettenhaus, die nach einem Outsourcing unter einer Halbierung ihrer Löhne und schlechteren Arbeitsbedingungen litten.

»Während die Arbeitnehmer die Zeche zahlen, hat das Kasino längst wieder aufgemacht«, wandte sich Huber inzwischen gegen eine strikte Politik der Schuldenbremse und stellte den 8,2 Billionen Euro europäischer Staatsschulden ein Privatvermögen von 13,8 Billionen Euro des reichsten Zehntels Westeuropäer entgegen. Mehr noch als die Forderung nach einer 6,5-prozentigen Lohnerhöhung betonte er das Ziel unbefristeter Arbeitsverhältnisse und wetterte gegen »Ausbeutungsverhältnisse, die der Arbeit jede Würde nehmen«: »Eine Gewerkschaft, die sich in der Jetztzeit bewegt, kann beim massiven Anwachsen von Leiharbeit und Werkverträgen nicht wegsehen.«

Nur Zeitverträge für Jugendliche

Erst recht nicht wegsehen kann die DGB-Jugend, die bei einer Befragung von 3000 Hamburger Auszubildenden im letzten Lehrjahr prekäre Erkenntnisse gewonnen hat. »Operation Übernahme«, stand auf den gelben T-Shirts, die viele junge IG-Metall-Mitglieder sich übergestreift hatten. »Gerade 28 Prozent wissen am Ende ihrer Ausbildung, dass sie übernommen werden«, schilderte die Hamburger Landeschefin Isabel Artus.

Über die Hälfte der betroffenen Jugendlichen bekämen nur einen Zeitvertrag angeboten, kritisierte auch der Hamburger DGB-Vorsitzende Uwe Grund: »Das ist doch sehr bemerkenswert, wo das Thema Facharbeitermangel doch angeblich so drückt.« Grund hatte sich trotz sommerlicher Hitze tapfer einen Gewerkschaftsschal um die Schultern geschwungen, forderte die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und rechnete vor, das einer der mittlerweile 7,4 Millionen Minijobs eine Rente von 140 Euro einbrächte: »Die Falle Minijobs muss beseitigt werden.«

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