Wie der Rennsteiglauf ins »nd« kam
Chefredakteur hob 1977 die erste Reportage höchstselbst ins Blatt
Hans-Georg Kremer, einer der vier Rennsteiglaufväter, gibt ein »Who is who - Rennsteiglaufbiografien« heraus. Für die Auflage 2010 hatte er Michael Müller (66), einst nd-Redakteur und -Auslandskorrespondent, inzwischen Rentner, freier Autor und 29 Mal Rennsteigläufer, um einen Beitrag gebeten: Wie kam der Rennsteiglauf ins »neue deutschland«?
Der Text ging so:
»Neues Deutschland berichtete doch«
Im Frühjahr 1977 war eine ganze Menge auf mich zugekommen. Zum ersten Mal Vater geworden, Karriereschwung zum Auslandskorrespondenten, Premiere beim Rennsteiglauf. Aber mit Anfang 30 stemmt man einiges. So auch den langen Kanten; ich denke, die 75 Kilometer dauerten mehr als neun Stunden. Wie das gelaufen war, wollte ich dann auch der Leserschaft des »nd« mitteilen. In der Wochenendbeilage vom 4./5. Juni 1977. Obwohl er sonst mit diesem Teil des Blattes kaum befasst war, legte der Sportchef sein Veto ein: »Rennsteiglauf fliegt raus. Im Volkssport gibt's anderer Schwerpunkte.« Gerettet hat meinen Text der ansonsten so nibelungenlinientreue Chefredakteur, damals auch schon im Politbüros des ZK der SED. Er hielt die sportpolitischen Einwände für »kleinkariert«. Zudem war auch sein Thüringer Kurarzt bereits Rennsteigläufer. Nun sogar ein solcher Verrückter in der eigenen Redaktion - und schwupps war ich im Blatt! Allerdings unter einem Pseudonym. Denn auf derselben Zeitungsseite sollte oben zufällig noch eine andere Reportage von mir stehen. Eine über das sibirische Forschungszentrum Akademgorodok. Und zwei Mal derselbe Autor auf einer Seite, das nun ging im damaligen »nd« überhaupt nicht. So wurde der untere Michael Müller (in Anlehnung an Herbert Roth) zu einem Herbert Schwarz. Egal, ein Journalist muss in seinem Arbeitsleben ganz andere Widrigkeiten wegstecken. Immerhin bekamen 1,2 Millionen nd-Leser und somit auch viele DDR-Sportfunktionäre mit, dass Rennsteiglauf eine grandiose, nun sogar nd-geadelte Sache ist. Noch heute erinnern sich übrigens Ältere aus dem alljährlichen nd-Rennsteiglaufteam an diese Reportage von 1977. Dass der Autor Herbert Schwarz kein anderer als ihr Teammitglied Michael Müller ist, sei hiermit erstmals enthüllt.
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