À la Merkel oder à la Hollande
Rainer Falk über wirtschaftspolitische Differenzen auf dem G8-Gipfel
nd: Hauptthema beim G8-Gipfel in Camp David ist die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Der milliardenschwere Spekulationsverlust bei der US-Bank JPMorgan Chase und die schwelende Eurokrise sprechen nicht für eine Bewältigung der Probleme, die die G8 nach der Pleite von Lehman Brothers 2008 mit Vehemenz angehen wollten. Was hat sich konkret bewegt?
Falk: Es gibt bescheidene Ansätze in verschiedenen Mitgliedsländern der G8, etwa in den USA oder der EU. Es mangelt jedoch an Kooperation, um die aus dem Ruder gelaufenen Märkte zu reregulieren. Das Thema der Finanzkrise wird indes vorwiegend im Rahmen der G20 unter Einschluss der Schwellenländer wie China und Brasilien behandelt. Auch da sind verschiedene Punkte offen. Zum Beispiel wurde 2008 in London gesagt, dass das Prinzip »Kein Markt, kein Produkt, kein Akteur ohne Aufsicht« gelten müsse. Wenn man das als Kriterium nimmt, haben die G20 bisher eine glatte Bauchlandung hingelegt.
Welche Überlegungen gibt es, wie die Wachstumsschwäche in den G8-Staaten überwunden werden kann?
Was die G8 jetzt in Camp David diskutieren werden, ist eine neue Wachstumsstrategie. Mit ihr soll die bisherige fiskalische Konsolidierung durch neue Wachstumsimpulse ergänzt werden. Einigkeit über das »Wie« gibt es nicht. Während die einen à la Merkel an Strukturreformen denken - eine Tarnbezeichnung für neoliberale Arbeitsmarkt- und andere »Reformen« - denken die anderen à la Hollande in Frankreich eher an neue Konjunkturpakete.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat vor dem G8-Gipfel ein Plädoyer für freien Handel und Wachstum ohne Pump gehalten. Wie viel Unterstützung hat diese Position bei den G8-Staaten?
Merkels Position gerät mehr und mehr in die Isolation. Weder die USA noch europäische Länder wie Frankreich wollen diesen strikten Sparkurs und diesen strikten Antischuldenkurs. Die USA, Frankreich und andere sind bereit, je nach Spielraum neue Schulden aufzunehmen, um Wachstum zu finanzieren. Welche Auffassung in Camp David die Oberhand behält, wird spannend zu beobachten.
Der Gastgeber, US-Präsident Barack Obama, hat als einen Schwerpunkt seiner G8-Agenda die Ernährungssicherung im Süden gesetzt. Wie ernsthaft ist dieses Vorhaben angesichts der ungebremsten Entwicklung des Landgrabbings, bei dem Investoren aus Industrie- und Schwellenländern im Süden Agrarland aufkaufen und für eigene Zwecke nutzen. Allein in den vergangenen zwölf Jahren betraf das laut der Studie »Die Ernte der Heuschrecken« 200 Millionen Hektar.
Sich um Probleme des Südens zu kümmern, hat eine gewisse Tradition innerhalb der G8, seit dem L'Aquila-Gipfel in Italien 2009 mit dem Schwerpunkt Ernährungssicherung. Aber auch schon zuvor in Heiligendamm 2007 und im schottischen Gleneagles 2005, als Großbritanniens Premier Tony Blair die vollmundige Parole ausgab »Make Poverty History« (Macht Armut zur Geschichte). Das Problem ist der reduktionistische Ansatz in Bezug auf Ernährungssicherheit. Das Thema wird nur unter dem Gesichtspunkt der Maximierung der landwirtschaftlichen Produktivität gedacht, mehr Investitionen in den Agrarsektor. Dabei fällt der Aspekt der Umverteilung unter den Tisch. Der Trend geht in die Richtung, dass immer mehr Flächen genutzt werden, um sogenannte Agrotreibstoffe zu produzieren statt Nahrungsmittel. Das schränkt den Spielraum zur Bekämpfung des Hungers wesentlich ein.
Im Übrigen ist das in gewisser Weise ein Ersatzthema, das sich die G8 hier vorgenommen haben, denn die Fokussierung auf Ernährungssicherheit bedeutet auch, dass über zusätzliche Mittel für Entwicklungszusammenarbeit nicht gesprochen werden wird. Dabei wurden die Versprechungen von Gleneagles 2005, bis 2010 die Entwicklungshilfe um 50 Milliarden Dollar pro Jahr aufzustocken, nicht annähernd eingehalten.
Welchen Stellenwert haben die G8-Gipfel überhaupt noch angesichts der wachsenden Bedeutung der Schwellenländer, die die G20 zum zentralen Akteur haben werden lassen?
Die Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Auf der einen Seite sieht es im Moment tatsächlich so aus, als wären die G8 nur noch ein Schatten ihrer selbst. Der kommende Gipfel hat bislang kaum Aufmerksamkeit in den Medien gefunden. Es wird ein kleiner Gipfel, der nur weniger als 24 Stunden dauern wird, und der nur ein schmales vierseitiges Kommuniqué produzieren soll. Auf der anderen Seite findet dieser G8-Gipfel direkt vor anderen wichtigen Treffen statt: dem NATO-Gipfel gleich anschließend in Chicago, dem EU-Gipfel in Brüssel und schließlich dem G20-Gipfel Mitte Juni in Los Cabos in Mexiko, auf den direkt die Rio+20-Konferenz in Rio de Janeiro folgt. Mit Blick auf diese vier Gipfel kann man in Camp David gewisse strategische Vorentscheidungen der nach wie vor mächtigsten Länder der Welt erwarten. Die G8 sollten trotz ihres Bedeutungsverlustes nicht vorschnell totgesagt werden - dafür sind sie immer noch zu mächtig.
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