Tempelelefanten laufen Amok

Immer wieder kommt es bei indischen Prozessionen zu tragischen Vorfällen

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Mächtige Elefanten, golden geschmückt mit schweren gesäumten Decken wiegen langsam ihre großen Köpfe hin und her und schlenkern lässig ihre Rüssel. Tausende Menschen erwarten den Beginn des Aarattu, das heilige Bad der Dickhäuter in einem Teich zu Ehren des Gottes, dessen Fest an diesem Tag im Tempel Koodalmanikkom in Kerala im Südwesten Indiens gefeiert wird.

Yadu Krishnan ist fasziniert von dem farbenprächtigen Schauspiel. Aufgeregt zupft der kleine Junge am Sari seiner Mutter, lacht, zeigt mit den Fingern auf die Tiere. Ein Zweijähriger entdeckt die Welt. Da passiert es. Drei Elefanten aus der Prozession drehen durch, laufen Amok. In Panik fliehen die Gläubigen vor den wild gewordenen Elefanten. In dem Chaos wird Yadu Krishnan tot getrampelt und seine Mutter Jisha bei dem verzweifelten Versuch, ihren Sohn zu retten, schwer verletzt. Insgesamt wurden mehr als 60 Menschen mit schlimmen Verletzungen in Krankenhäuser eingeliefert.

Eine Polizeieinheit stellt traditionell die Ehrengarde für die Elefanten. Als die Garde Salutschüsse abfeuert, bekommt einer der Elefanten Angst. Er fängt an, wütend zu trompeten und umstehende Menschen mit seinem Rüssel anzugreifen. Zwei weitere Elefanten stehen dem Artgenossen bei und gehen ebenfalls auf die Gläubigen los. Das Unglück nimmt seinen Lauf.

Das Drama Mitte Mai am Tempel war nicht das erste seiner Art. Immer wieder kommt es in ganz Indien bei Tempelfesten zu solchen Katastrophen. Aber Kerala ist der Hotspot solcher Vorkommnisse. Erst eine Woche vor dem Tod des kleinen Jungen drehte bei einem Pooram (Tempelfest) in Thrissur einer der dreißig Elefanten durch und verletzte mehr als 50 Menschen.

Kerala ist Heimat der größten Zahl in Gefangenschaft lebender Elefanten. Die gut 800 domestizierten grauen Riesen sind im Besitz von etwa 250 Einzelpersonen und Tempeln. Die Elefanten sind für ihre Besitzer ein Statussymbol, aber auch ein gutes Geschäft. Gegen satte Honorare werden die Tiere an Tempel, Veranstalter von Prozessionen und Paraden, politische Parteien oder Firmen vermietet, die sie als lebende Litfaßsäule auf Werbetour schicken.

An das Wohl der Tiere denkt kaum jemand. Oft werden die Elefanten von ihren oft trunksüchtigen Mahouts falsch gehalten oder misshandelt oder beides. Die Rüsseltiere werden auf offenen LKWs auf stundenlangen Fahrten zu ihrem Einsatzort gebracht. Bei den Paraden und Poorams müssen sie oft stundenlang auf glühend heißen, asphaltierten Straßen laufen, sind Feuerwerken, offenen Flammen und Böllerschüssen ausgesetzt.

An Initiativen, Verordnungen und Gesetzen zum Schutz der domestizierten Elefanten mangelt es nicht. Die »Kerala's Elephant Lovers' Association« hat sogar ein Handbuch zur Haltung der Dickhäuter herausgegeben. Aber all das wird im notorisch korrupten Indien immer wieder unterlaufen.

In Kerala gab es zum Beispiel eine Verordnung, nach der ein Veterinär sein Einverständnis geben musste, bevor ein Elefant von einem Distrikt in einen anderen gebracht wird. Diese Vorschrift war kurz vor dem tödlichen Unfall in Koodalmanikkom von Balakrishna Ganeshkumar aufgehoben worden. Der Mann ist Forstminister in Kerala und zugleich Präsident der Vereinigung der Elefantenbesitzer.

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