Politisches Wunschdenken à la Thilo Sarrazin

Der Ex-Bundesbanker kann seine Thesen zum Euro nicht stichhaltig belegen und zieht die falschen Schlussfolgerungen

  • Joachim Bischoff
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Ökonom und Politiker ist Mitherausgeber des »Sozialismus«.
Der Ökonom und Politiker ist Mitherausgeber des »Sozialismus«.

In den aktuellen Debatten steht die Schuldenkrise im Zentrum und die besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Eurozone und Griechenland. Auch Thilo Sarrazin stellt sich dieser zeitgeschichtlichen Herausforderung. Schon im März 2010, also noch vor der Verabredung des ersten Hilfspaketes von EU, IWF und EZB, hatte das damalige Vorstandsmitglied der Bundesbank mit einer provokanten These die politische Klasse und die Öffentlichkeit aufgeschreckt: Eine Insolvenz Griechenlands sei im Vergleich zu den sich abzeichnenden Rechtsbrüchen der Europäischen Verträge und den ökonomischen Folgen das geringere Übel. In seinem neuen Buch verschärft er die Kritik: »Deutschland brauchte den Euro nicht, um seine Wettbewerbsfähigkeit für die Zukunft zu sichern und zu schützen, und der Wettbewerbsfähigkeit der weniger wettbewerbsstarken Länder im Westen und Süden des Euroraums ist die gemeinsame Währung schlecht bekommen. Auch der Europäische Binnenmarkt (...) hätte sich aller Voraussicht nach ohne den Euro deutlich besser entwickelt.« (S. 245)

Keine Frage: Es hat sich eine Schuldenkrise entwickelt, die nicht nur auf den Euroraum beschränkt ist. Es gibt Risiken. Außerdem rücken nationale und rassistische Vorurteile stärker in der Vordergrund. Aber begründet dies die These, die Währungsunion und speziell der Euro waren schädlich? Und in der Konsequenz: zurück zum Nationalstaat, wo dann jedes Land nach seiner Fasson leben und dies auch finanzieren kann?

Einwände gegen diese Argumentation: Sarrazin beugt sich mit den »Augen des Buchprüfers über vorhandene Zahlen« und behauptet: »Ein ökonomischer Gewinn war die gemeinsame Währung in den ersten 13 Jahren ihrer Existenz nicht, wohl aber sind erhebliche Drohverluste aufgelaufen.« (S. 153) Trotz vieler Statistiken kann er eine stichhaltige Bilanz über ökonomische Vorteile (Wegfall von Transaktionskosten und Aufwertungsrisiken) sowie Nachteile nicht vorlegen. Er räumt selber ein: »Sicherlich kann niemand genau wissen, wie ohne den Euro seit 1999 die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und dem übrigen Euroraum verlaufen wäre.« (S. 152) Die angeführten Fakten illustrieren bestenfalls seine Sichtweise. Ebenso kühn ist daher die These, eine schlagartige Insolvenz Griechenlands und ein Aufwertungsknall seien für die bundesdeutsche Wirtschaft leicht zu verarbeiten.

Mit dem Euro haben sich die Leistungsbilanzsalden im Euroraum auseinanderentwickelt. Dies ging einher mit wachsenden Unterschieden in der Wettbewerbsfähigkeit der Ökonomien und einem Anwachsen der öffentlichen Schulden. Diese Tendenzen sind lange ignoriert und folglich auch nicht bekämpft worden. Sarrazin betont: »Ursache war die von Land zu Land unterschiedliche Entwicklung der Kredite an private Haushalte und Unternehmen. Diese ermöglichten neben der Staatsverschuldung die Finanzierung wachsender Leistungsbilanzdefizite. Die kreditfinanzierten Kapitalimporte flossen in den Südländern und in Irland vorwiegend in die Finanzierung eines großen Immobilienbooms.« (S. 151) Hier wird die Verknüpfung der Krise des Euroraumes mit der 2007 ausgebrochenen Großen Wirtschafts- und Finanzkrise sichtbar.

Die in der Globalökonomie feststellbare Tendenz zur Überakkumulation von Geldkapital und den damit verbundenen niedrigen Zinsen wurde durch den Euro verstärkt. Die Fehlentwicklung führte zu einer Vermögens- und Immobilienblase, die durch die Deregulierung im Bankenbereich potenziert wurde. Mit dem niedrigen Zinsniveau wurden aber auch Gestaltungsräume für die Entschuldung der öffentlichen und privaten Haushalte eröffnet, die wegen unzureichenden Regulierungen und Fehlern der Wirtschaftspolitik nicht genutzt wurden. Diese Überlagerung von Entwicklungslinien erschwert bis heute die Überwindung der Krise. »Die Weltfinanzkrise war sicherlich ein Auslöser, dass die Euro-Krise zu diesem Zeitpunkt ausbrach. Aber die Krise Griechenlands hat nichts mit der weltweiten Wirtschaftsentwicklung zu tun. Die Euro-Krise begann schleichend schon in den Jahren 2005 bis 2006, sie wäre so oder so gekommen.« (Sarrazin in »Die Welt«).

Die Ahnung von den Widersprüchen des modernen Finanzmarktkapitalismus hindert Sarrazin nicht an rechtspopulistischen Ausfällen: »Die Fleischtöpfe der EU sowie die Bonität und niedrigen Zinsen, die der Euro brachte, hatten zu einer 10 Jahre währenden, riesigen Verschwendungsparty geführt. Natürlich waren die Politiker nicht allein schuld. Es war die ganze Gesellschaft.« (S. 180) Ja, der finanzmarktgetriebene Kapitalismus hat in Ländern wie Griechenland, Spanien etc. zu einem Kosten- und Einkommensstandard geführt, der von der realen Leistungskraft des Landes (d.h. des gesellschaftlichen Arbeitskörpers) abgehoben ist. Wer nicht wie Sarrazin u.a. sich mit dieser Herausbildung von ewigen Zuschussgebieten ohne Perspektive und Kraft zur eigenen Regeneration abfinden will, der muss für soziale Sanierungskonzeptionen, eine Steuerung der Kreditexpansion nach Verwendungszwecken und nach Regionen sowie die Einrichtung von Ausgleichsunionen eintreten, wie sie schon bei der Etablierung der Weltwährungs- und Wirtschaftsordnung der Nachkriegszeit auf der Tagesordnung standen.

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