Wechselnde Umstände

Friedrich Engels und die LINKE

  • Jens Grandt
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei aller zeitlichen Distanz: Es hat doch Sinn, sich der klarsichtigen Köpfe zu erinnern, die in der Vergangenheit Wege gewiesen haben. Zumal in revolutionären Krisen - um die neuen Kämpfe zu bestehen, »den Geist der Revolution wiederzufinden«. Schreibt Karl Marx im »18. Brumaire des Louis Napoleon«.

Ach, hätten wir doch einen Marx, der in der Internationalen Arbeiterassoziation die verschiedenen Strömungen über viele Jahre zusammenführen konnte. Oder einen Friedrich Engels, der noch im Alter ein über alles geschätzter, auf Zeit- und regionale Umstände eingehender, charismatischer Ratgeber war.

Aber, aber: Wären die Professionals des Sozialismus derzeit wirklich gefragt? Friedrich Engels? Untragbar für die heutige LINKE. Er unternahm alles, gemeinsam mit dem Gründer der (damals noch kämpferischen) österreichischen Sozialdemokratie Victor Adler, um einen Aufruf der Bergarbeitergewerkschaft und einiger radikaler Parteimitglieder zum Generalstreik ins Leere laufen zu lassen. O, wie würde die Antikapitalistische Plattform ob eines solchen »Opportunismus« fluchen.

Engels billigte einen Kompromiss mit der monarchistischen Partei! Unvorstellbar, wenn man der Prinzipienreiterei der Fundamental-Oppositionellen in der LINKEN folgen wollte. Weshalb empfahl Engels ein zeitliches Engagement mit der Krone? Weil die Wiener Regierung um Graf Eduard Taaffe vor dem Erstarken der Arbeiterpartei Angst hatte und zu einer gemäßigten Reform des Wahlrechts bereit war - während das Parlament sich dagegen sperrte; die darin dominanten Liberalen, die Unternehmer und Junker wollten die Privilegien des Kurienwahlrechts nicht aufgeben.

Die Episode illustriert den alten Streitpunkt Taktik oder Strategie, mit dem die LINKE nicht klarkommt. Ein Begriffspaar, das in stalinistischer Praxis sträflich missbraucht wurde und das man deswegen über Bord zu werfen für angebracht hielt. Dummerweise, denn es ist ein Gesetz der historischen Logik, Nah- und Fernziele auseinanderzuhalten - alles hat seine Zeit.

Wirkungsgrenzen zu erweitern gelingt allenfalls gemäß dem eigenen Kräftepotenzial und seiner Erfolgsaussichten. Pragmatismus muss nicht prinzipienlos sein, wenn man ihn wie William James als das unter gegebenen Bedingungen Machbare versteht. »Die Kritiker der Taktik glauben immer, sie sei, oder könne sein eine gerade Linie, während sie eine Wellenlinie sein muß, gerade wie die Weltgeschichte«, schreibt Victor Adler. Der von Gerd Callesen und Wolfgang Maderthaner im Akademie Verlag herausgegebene Briefwechsel mit Engels belegt diese Ansicht mit vielen Beispielen. Engels gibt seinem österreichischen Freund Recht, ergänzt: »Die Taktik machen wir nicht aus nichts, sondern aus den wechselnden Umständen.«

Und die Wahlen selbst, die Chance, durch Stimmenmehrheit politischen Einfluss zu erlangen? Bekanntlich überschätzte Engels die Chance, mit dem Stimmzettel die Macht im Staat zu erobern. Die Einsicht, dass allgemeine, freie Wahlen nur »bürgerlicher Schwindel« zugunsten der Herrschenden seien,kam Engels erst spät. Dennoch war er überzeugt, dass die emanzipatorische Bewegung nur »Schritt für Schritt Terrain« gewinnen und die Arbeiter »einige Positionen«, die auf der Tagesordnung stehen, »auf gesetzlichem Weg« erringen können.

Ob bevorzugt in Parlamenten oder außerparlamentarisch, auf der Straße, für die Besserung der Lebensverhältnisse gekämpft werden solle, diese Frage hat sich weder für Marx noch für Engels alternativ gestellt, nachdem die Linken ihre Organisationsformen gefunden hatten. Das Eine schließt das Andere nicht aus.

Diese reformerischen Avancen! Es ist schon ein Kreuz mit den Geistern, den »Gespenstern« der Vergangenheit; Jaques Derrida hat wohl Recht, wenn er sagt, dass sie nicht zu töten sind, aber doch stets unzeitgemäß erscheinen.

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