Wie links ist Paranoia?
Die Band »Die Bandbreite« ist beliebt bei Verschwörungstheoretikern, bei extrem Rechten – und bei Teilen der deutschen Linken
In Wahrheit ist alles wieder mal ganz anders als uns erzählt wird: Hinter der Immunschwächekrankheit AIDS stecken eigentlich die US-Regierung, die AIDS in einem geheimen Labor namens »Fort Detrick« entwickeln ließ, die CIA und – wie könnte es anders sein! – der Mossad. Der sagenumwobene israelische Geheimdienst habe den Virus durch bewusst kontaminierten Blutkonserven in Afrika verbreitet. An vorderster Front war auch irgendwie eine jüdische Endzeitkult-Sekte beteiligt. Das behauptet zumindest der verschwörungsparanoische Buchautor Wolfgang Eggert.
Eggert schwadroniert schließlich über ein »biblisch-apokalyptisches Projekt, das bis in die Gegenwart reicht«: «Es ist die mögliche Herstellung eines Kunsterregers, der sämtliche Rassen der Welt vernichtet – außer den genetisch 'reinsten' Kern der jüdischen.« Verglichen mit diesem apokalyptischen »Projekt« muss der Holocaust gleichsam als Ringelpitz erscheinen...
Der Arzt und Journalist Philipp Grätzel von Grätz kämpfte sich vor ein paar Jahren durch Eggerts 2003 erschienenes Buch »Die geplanten Seuchen. AIDS, SARS und die militärische Genforschung«. Und fasste seine Lektüre in einem sehr lesenswerten Artikel zusammen: »Eggert ... führt plastisch vor, wie der Schritt aussieht, den man gehen muss, um von einem diffus-linken Fortschrittsskeptizismus und Antiimperialismus zum Antisemitismus zu gelangen.«
»Bandbreite«-Song »AIDS«: Gerappter Eggert
Jetzt ist das Eggert-Buch vertont worden – von der Duisburger Band »Die Bandbreite«, die sich selbst als links bezeichnet und in linken Kreisen einer gewissen Beliebtheit erfreut. »Ich belege die Wege des Virus, nenn' mich von mir aus 'nen Revisionist«, rappt »Bandbreite«-Kopf Marcel W., der unter dem Kampfnamen »Wojna« (das polnische Wort für »Krieg«) auftritt.
Im Video zum »AIDS«-Song trägt der Duisburger einen weißen Kittel, ganz so, als wäre er ein Wissenschaftler. »Die Geschichte von AIDS« sei eine Lüge, behauptet der Rapper. AIDS sei in einem Geheimlabor als »biologischer Kampfstoff« gebaut worden. Auch die Eggert-These, derzufolge die Krankheit über eine Hepatitis-Impfung verbreitet worden sei, wird in dem Song popularisiert: »Die Ausrottung von Afrikanern ham sie ganz gezielt geplant« – »sie« sind unter anderem Henry Kissinger und die CIA.
So geht das geschlagene fünf Minuten weiter. Fast wirkt es trotz allem witzig, wenn »Wojna« im breitesten Ruhrpott-Idiom über Morphologie, Immunsystem und den Aspirin-Wirkstoff ASS als aus seiner Sicht probates Anti-AIDS-Mittel rappt und dabei über den Boden robbt.
Auf ihrer Webseite benennt »Die Bandbreite« Wolfgang Eggerts Seuchen-Verschwörungs-Buch als eine von zwei Quellen: Vorlage für den Song »AIDS«, der auf unserem aktuellen Album «Reflexion« erschienen ist, war neben der Broschüre des Wissenschaftsjournalisten Christoph Klug »AIDS in Afrika« auch das Buch «Die geplanten Seuchen« von Wolfgang Eggert. ... Zwei voneinander vollkommen unabhängige Quellen lieferten uns nahezu identische Inhalte über die Herkunft des HI-Virus. ... Unserer Meinung nach bieten wir mit unserem jüngsten Clip die wahrscheinlich plausibelste Theorie für den Ursprung des Immunschwäche-Virus an.
Offener Antisemitismus, nicht versteckt
Moment: Die angeblich linke Band, die beim traditionellen Liederfestival auf der Burg Waldeck auftrat, die es in die »Liederbestenliste« des Deutschlandsfunks schaffte, beim Pressefest der Deutschen Kommunistischen Partei, beim Ostermarsch Ruhr, bei gewerkschaftlichen und bei »Occupy«-Events rappte, bezieht sich auf ein antisemitisches Machwerk?
Überlesen haben kann Marcel W. die einschlägigen Passagen nicht. »Wenn man zumindest die erste Hälfte des Buchs überfliegt, kommt man daran nicht vorbei. Es kommt schon bald relativ bald knüppeldick«, erinnert sich Journalist Grätzel von Grätz an seine Lektüre des Eggert-Buches. Grätzel von Grätz sei erst neugierig gewesen, dann erstaunt und schließlich ziemlich angewidert – »von den Inhalten, aber auch wegen der Sprache«, die Grätzel von Grätz an jene der Nazis erinnerte, wie Victor Klemperer sie in seiner »Lingua Tertii Imperii« analysiert hatte. »Eggert versucht nicht, seinen Antisemitismus zu verstecken.«
Appetitanreger für Eggert-Propaganda
Nein, die offen antisemitischen Formulierungen aus Eggerts AIDS-Buch tauchen in dem »Bandbreite«-Song nicht auf. Worte wie »Juden« oder »Mossad« sind tabu. Doch das »AIDS«-Lied wirkt als Appetitanreger für Eggerts Thesen, die in kleinen Häppchen serviert werden.
Distanz zu, gar Kritik an Eggert? Fehlanzeige! Stattdesen bewirbt »Die Bandbreite« Eggerts »Seuchen«-Buch auf ihrer Webseite und verlinkt Eggerts Verlag »Chronos Medien«. Dort kann der »Bandbreite«-Fan dann Eggert-Publikationen erwerben, Bücher wie »Messianisten-Netzwerke treiben zum Weltenende«, »Israels Geheimvatikan als Vollstrecker biblischer Prophetie« oder jenes über die »verschwiegene Rolle von Mossad und CIA bei den Anschlägen vom 11. September«.
»Die Bandbreite«, ihre rechten Kameraden und linken Genossen
Die Vorwürfe gegen »Die Bandbreite« sind seit Langem manifest: Immer wieder greift die Band verschwörungstheoretische Thesen auf und vermengt sie mit links wirkenden Parolen. Tief verwurzelt ist sie in der paranoischen »Truther-Bewegung«, die glaubt, die Wahrheit jenseits offizieller Verlautbarungen erkannt und gepachtet zu haben. Der 11. September? Den haben die USA »selbst gemacht«, behauptet Marcel W. im gleichnamigen »Bandbreite«-Song, und zwar »wegen dem Geld«.
Auf seinem Label »Lärmquelle Records« verlegt »Bandbreite«-Kopf Marcel W. die Musik des »Truth-Rappers« Kilez More, darunter auch das Lied »Klimawandel«, in dem es heißt: »Der Klimawandel wurde nicht vom Menschen gemacht, damit halten sie die Menschen in Angst« (wer »sie sind wird dezent beschwiegen).
Nicht zuletzt warb W. im Juni 2011 vor Vertretern der extrem rechtspopulistischen »Schweizer Volkspartei« um Kooperation: »Wir müssen zusammenarbeiten, das ist wichtig.«
»Stets Bestätigung und Zuspruch« aus dem linken Lager
All das konnte man seit Langem wissen – und doch wurde »Die Bandbreite« immer wieder zu linken Veranstaltungen geladen, suchten auch prominente Linke den Dialog mit Marcel W. und verteidigten ihn gegen Kritik, die pauschal als »antideutsche« Propaganda abgetan wurde. So wurde der Opfermythos der Band genährt, ihr Bekanntheitsgrad gesteigert, ihre Propaganda salonfähig gemacht.
»Uns war bewußt, dass der Auftritt der `Bandbreite` kontrovers gesehen wird«, schrieb mir vor wenigen Wochen ein linker Demonstrationsveranstalter. Doch entscheidend sei »die eigene Positionierung der Band«: Die Bandbreite fühle sich der politischen Linken zugehörig und erfahre aus diesem Lager stets Bestätigung und Zuspruch. »Das ist«, so der linke »Bandbreite«-Verteidiger, »eine klare Aussage«. Nun ja, sie ist zumindest halbwahr: Bestätigung und Zuspruch aus dem linken Lager erfährt »Die Bandbreite« tatsächlich. Noch.
Marcus Meier referiert am kommenden Dienstag, dem 5. Juni 2012, zum selben Thema – und zwar in Bochum, im Ruhrpott also, wo »Die Bandbreite« besonders viele (linke) Fans hat. Weitere Infos: hier
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.