Gysi hatte »Kopf« – Lafontaine das letzte Wort
Reden von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine auf dem Parteitag der LINKEN
Rede von Gregor Gysi: Vereinigung nicht erreicht
1989/1990 scheiterte der Staatssozialismus, und so wie er war zu Recht. Die Menschheit wollte ihn nicht als Alternative zum Kapitalismus. Wir, die wir versuchten, aus der SED heraus eine demokratisch reformierte sozialistische Partei zu gestalten, waren aber der Überzeugung, dass der Kapitalismus nicht die verbleibende Alternative ist, dass es sich lohnt, für einen demokratischen Sozialismus zu streiten. Diese Partei, die PDS, war erfolgreich, und es bringt nichts, wenn man ihr den Erfolg abspricht, obwohl sie 2002 nicht die Fünf-Prozent-Hürde überschritt …
Nachdem SPD und Grüne die Regierung übernahmen und zunehmend eine unsoziale Politik betrieben, prekäre Beschäftigung organisierten, den Niedriglohnbereich ausdehnten, Steuerungerechtigkeit herstellten und sich entschlossen, Deutschland erstmalig nach 1945 an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien zu beteiligen, entschlossen sich immer mehr Wählerinnen und Wähler der SPD, aber auch Mitglieder der SPD, dieser den Rücken zu kehren. Deshalb wurde die WASG gegründet. ...
Da wir keinen Beitritt wollten, sondern eine Vereinigung, haben wir in Kauf genommen, einen komplizierteren Prozess zu gestalten. ... Ich muss heute sagen, dass der Prozess nicht gelungen, die Vereinigung nicht erreicht ist. ...
Es geht doch nicht im Ernst, dass ich permanent von bestimmten Leuten nur Kritik höre an den Landesverbänden vornehmlich in Brandenburg und Berlin, dass sie mir immer deren Fehler schildern und niemals einen Hauch von Selbstkritik üben. … In Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz haben wir den Einzug in die Landtage nicht annähernd geschafft, und in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen sind wir eindeutig aus den Landtagen herausgewählt worden. Und manche meinen, dass man zu den genannten Niederlagen fast nichts sagen muss? Es soll genügen, auf die Fehler der Bundespartei und der Landesverbände in Berlin und Brandenburg und der anderen Landesverbände im Osten zu verweisen? … Es tut mir leid, aber eine bestimmte Kritik von Mitgliedern aus den alten Bundesländern erinnert mich an die westliche Arroganz bei der Vereinigung unseres Landes. … Was ist denn eigentlich so schlimm daran zu akzeptieren, dass wir im Osten eine Volkspartei sind? Was ist denn eigentlich so schlimm daran, umgekehrt zu akzeptieren, dass wir im Westen eine Interessenpartei sind? Warum kann uns das nicht bereichern, warum geht es nicht zusammen? Ich will nicht begreifen, dass es uns spaltet. …
Die östlichen Landesverbände sind keine sozialdemokratische Partei und lassen sich so auch nicht führen. Wenn man eine Integration will, muss man auch die Seele der ostdeutschen Mitglieder verstehen. … Lasst mich kurz zu einigen Vorwürfen Stellung nehmen. Also die östlichen Landesverbände seien zu oft angepasst, würden eigentlich nur eine zweite Sozialdemokratie anstreben. Darf ich darauf hinweisen, dass unsere Partei in Thüringen deutlich stärker ist als die SPD, dass unsere Partei in Sachsen deutlich stärker ist als die SPD, dass unsere Partei in Sachsen-Anhalt deutlich stärker ist als die SPD. Worin seht ihr denn die Gefahr, ist das nicht eine erfolgreiche Politik? ... Und darf ich zusätzlich darauf hinweisen, dass die SPD Koalitionen mit uns in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern ablehnte? Nur weil die Landesverbände ihr so ähnlich sind, nur weil sie mit einer zweiten Sozialdemokratie nicht koalieren will? Das ist doch absurd. …
Natürlich kann man Wählerinnen und Wähler verlieren, wenn man falsche, prinzipienlose Kompromisse schließt. Aber man verliert auch Wählerinnen und Wähler, wenn man erklärt, dass man sich auf die SPD nur dann einlässt, wenn sie unsere Beschlüsse umsetzt, und zwar möglichst vollständig. Die Wählerinnen und Wähler wissen, dass das irreal ist.
... Seit wir die gemeinsame Partei DIE LINKE gebildet haben, hatten wir zahlreiche Erfolge zu verzeichnen. ... Den größten Erfolg hatten wir 2009. Eine Akzeptanz von fast zwölf Prozent derjenigen, die zur Wahl gingen zu erreichen, ist für eine Partei wie unsere geradezu grandios. ... Ich möchte daran erinnern, dass wir zunächst einen Parteitag hatten, auf dem es um die Europawahlen ging, und da haben sich beim Programm diejenigen durchgesetzt, die die Interessenpartei prononciert vertreten und Vorbehalte gegen die Volkspartei haben, diejenigen, die als radikalere Linke gelten. Sie haben das als Erfolg gefeiert, aber das Wahlergebnis war nicht berauschend. Daraufhin haben wir als Partei insgesamt verstanden, dass der Erfolg der Gruppe A über die Gruppe B zur Niederlage in der Gesellschaft für A und B führte. Deshalb verlief der Parteitag, mit dem wir die Bundestagswahlen vorbereiteten, gänzlich anders. Es wurden schon vorher Kompromisse gesucht und gefunden. Wir haben mit großer Mehrheit das Bundestagswahlprogramm verabschiedet. … Und dann haben wir mit allen Mitgliedern vehement einen Wahlkampf führen können. ... In den alten Bundesländern erreichten wir 8,7 Prozent der Stimmen. ... Das ist wirklich ein grandioser Erfolg. Aber ich muss hinzufügen, im Osten schafften wir 28,5 Prozent ... Nach dem Scheitern des Staatssozialismus ist das doch wohl mehr als grandios. Seitdem betreiben wir aber immer weniger Politik, haben Auseinandersetzungen und führen Personaldebatten, bei denen es im Kern um unterschiedliche politische Konzepte geht. Vertragen wir es nun, Volkspartei und Interessenpartei zu sein oder vertragen wir es nicht? Ist es tatsächlich so, dass die einen die Eigenheit gegenüber der SPD bewahren und die anderen sie aufgeben wollen? Die einen setzen mehr auf Kooperation mit der SPD als die anderen, das ist wahr. Aber ich kann nur sagen: Na und? ...
Man kann mit Wahlergebnissen von über 20 Prozent nicht permanent erklären, dass man sowieso nur in Opposition bleibt und gar nicht bereit sei, etwas zu verändern, es sei denn, die anderen machten genau das, was man selber will. Warum kann man das nicht akzeptieren, wenn man selber mit fünf Prozent in einen Landtag gewählt wird? Und umgekehrt, warum fällt es manchen im Osten so schwer zu akzeptieren, dass man sich als Fünf-Prozent-Partei anders verhalten muss als eine 25-Prozent-Partei? ... Sicher, wir sind die einzige Partei, die strukturell vor einer solchen Frage steht. Aber ich hätte nie gedacht, dass sie fast unlösbar ist. ... Entweder wir sind in der Lage, eine kooperative Führung zu wählen, die die Partei integriert und die organisiert, dass wir in erster Linie wieder politisch wahrgenommen werden ... Oder aber wir sind dazu nicht in der Lage, was bedeutete, dass die Gruppe A nun doch die Gruppe B besiegt oder die Gruppe B die Gruppe A. Für den Fall sage ich euch offen: Es ist dann besser, sich fair zu trennen als weiterhin unfair, mit Hass, mit Tricksereien, mit üblem Nachtreten eine in jeder Hinsicht verkorkste Ehe zu führen. Unser größtes Ziel ist es, eine solidarische Gesellschaft zu erreichen und wir selber führen vor, nicht einmal untereinander solidarisch sein zu können. …
Wir haben kein Recht, unsere Partei zu verspielen. ... Wir haben doch nicht nur Rechte, sondern auch eine Verantwortung. ...
Rede von Oskar Lafontaine: Streit wird nicht belohnt
Ich habe mit Gregor Gysi lange Jahre gut zusammengearbeitet. Für diese Zusammenarbeit danke ich ihm. Ich möchte euch sagen, dass ohne diese Zusammenarbeit die Wahlerfolge der letzten Jahre nicht möglich gewesen wären. Ich füge hinzu: Aufgrund dieser Wahlerfolge stimme ich einem Satz seiner Ausführungen zu: Wir haben kein Recht, diese linke Partei zu verspielen.Es gab in der Tradition der Arbeiterbewegung immer schwierige Situationen. ... Aus dieser Geschichte kann man auch lernen. Deshalb sage ich heute, trotz all der Schwierigkeiten, die Gregor Gysi hier angeführt hat: Es gibt keinen Grund, das Wort Spaltung in den Mund zu nehmen. Ich bitte euch alle: Lasst dieses Wort in Zukunft weg! ...
Die Geschichte der Arbeiterbewegung lehrt, eine Spaltung ist nur dann erforderlich, wenn gravierende programmatische Unterschiede festgestellt werden, ... aber nicht, weil man da oder dort Befindlichkeiten hat. …
Unsere Partei ist ein politisches Projekt, das nach meiner festen Überzeugung in der jetzigen Zeit in Europa so notwendig ist wie niemals zuvor, denn das, was wir in Deutschland erlebt haben mit Hartz IV und Agenda 2010 ist doch jetzt in potenzierter Form in ganz Europa festzustellen. Da gibt es auch hier in Deutschland vier Parteien, die wollen einen Knebelvertrag gegen Sozialstaat und Demokratie unterschreiben. Da braucht es uns doch. Wer soll denn den Widerstand leisten, wenn nicht DIE LINKE! ...
Erfolgreiche Parteien dürfen nicht zerstritten, und zwar persönlich zerstritten nach außen wirken ... Streit in der Sache, ja. Das wird von den Wählerinnen und Wählern belohnt. Aber persönliche Auseinandersetzungen, nachtreten und den Anderen schlecht machen, das wird überhaupt nicht belohnt. ...
Auch in linken Parteien gab es und wird es immer wieder Eitelkeiten, Rangeleien, Missgunst und Neid geben. Wer ist denn so naiv zu glauben, in linken Parteien versammelten sich die edelsten Menschen der Geschichte. Das gilt noch nicht mal für mich. Jeder Mensch hat doch Gefühle. Jeder Mensch hat Gefühle, die er schlecht verarbeiten kann. Das wird immer so sein. Aber wir sind die Partei der organisierten Solidarität. …
Wir müssen auch Solidarität mit der Führung haben, wenn sie mal gewählt ist … Ich halte es aufgrund meiner jahrzehntelangen Erfahrung in zwei politischen Parteien für falsch, wenn wir ein Dreivierteljahr vor dem Ende einer Wahlperiode von Vorständen Gegenkandidaturen diskutieren ... Wenn die neue Führung gewählt ist - wer immer es sei -, werde ich dafür kämpfen, dass nicht ein Jahr vorher diese Führung mit Personaldebatten wieder infrage gestellt wird und ihre Arbeit unnötig erschwert bekommt ...
Dann schimmerte jetzt durch die Diskussion wieder durch, im Osten gäbe es die Reformer und die Regierungswilligen und im Westen gäbe es die Fundis und die Regierungsunwilligen. Wenn solche Verleumdungen und Hetzkampagnen von der Presse gegen uns gerichtet werden - ich sage Verleumdung wider jedes bessere Wissen -, dann müssen wir das nicht auch noch akzeptieren oder sogar nachbeten. …
Dann lese ich jetzt, ich sei der Anführer der Fundis. Deswegen hatte ich früher bei einer großen Partei weit über 50 Prozent in meiner Heimat. Es ist ja bisher nicht von den 16 Prozent geredet worden, die wir jetzt im Saarland eingefahren haben. ... Dieses Vertrauen gewinnt man nicht, wenn man fundamental gegen alles ist. Dieses Vertrauen gewinnt man nur, wenn Kernbereiche der Arbeitnehmerschaft sagen, diese Partei vertritt im Zweifelsfall unsere Interessen. Arbeitnehmer und Rentner sind nun mal die große Mehrheit der Bevölkerung. Deshalb erinnere ich euch alle noch einmal daran, was Demokratie eigentlich heißt. Wir sind die einzige Partei, die dazu steht. Demokratie meint eine Gesellschaft, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Genau diese Gesellschaft wird in Europa bedroht und abgebaut. Für den Erhalt der Demokratie müssen wir, die Partei DIE LINKE, streiten und kämpfen! …
Wenn wir die Hand der SPD ausstrecken, und sie verweigert das regelmäßig - nicht nur im Osten, auch im Westen -, dann ist doch die Frage zu stellen: Ja, wie gehen wir denn strategisch damit um? Ich habe im »Stern« von Uli Jörges den Kommentar gelesen, in dem stand, dass Gabriel sich mit der Ausgrenzungsstrategie gegenüber der LINKEN durchgesetzt hat, da es ja DIE LINKE dadurch marginalisiert hat. Letzteres hat mich geärgert. Nein, nicht Gabriel hat uns marginalisiert. Wir selbst haben uns das zuzuschreiben, dass wir in der Wählergunst durch eine verfehlte Politik und ein falsches Auftreten in der Öffentlichkeit abgeglitten sind.
Deshalb müssen wir an dieser Stelle uns zusammennehmen. Das ist die Kernfrage. Wenn wir ein gemeinsames Programm haben, und wenn das ernstgemeint ist, dann geht es nur darum, diese nachgeordneten Schwierigkeiten, Eitelkeiten und inneren Streitereien zu überwinden. Etwas ganz anderes ist ein ernsthafter Streit um die Sache. Aber ich habe davon heute nichts, aber auch gar nichts gehört.
An dieser Stelle möchte ich Gregor Gysi unterstützen, wenn er die Strömungen relativiert. Die Strömungen haben alle dieses Programm mitgetragen. Dieses Programm ist ein wirklich ernsthafter Gegenentwurf zu der gegenwärtigen herrschenden Politik. Ich stelle mir die Frage: Wo sind eigentlich noch die großen Unterschiede? Ich habe versucht, das intellektuell zu begreifen. Ich habe es bis zum heutigen Tage nicht richtig erfasst.
Wenn wir in der Sache, liebe Freundinnen und Freunde, gravierende Differenzen haben, dann tragen wir die hier aus. Es geht auch nicht darum, dass jetzt irgendjemand den anderen - da stimme ich auch zu - diffamiert, er laufe der SPD nur hinterher. Nur, das Verhältnis zur SPD ist aus vielerlei Gründen schwierig. Das war aber schon immer so. …
Wenn ich beispielsweise heute wieder von Steinmeier höre, die Linkspartei habe bewiesen, dass sie nicht in der Lage sei, Interessen von Menschen zu vertreten. Von dem Mann, der die Agenda 2010 verbrochen hat, sich so was anzuhören. Das ist eine Zumutung. Wenn diese genialen Strategen, die drei Loser an der Spitze der SPD - Gabriel, Steinmeier und Steinbrück, die alle nur Wahlen verloren haben - jetzt sagen, die LINKEN sind für die SPD keine Option, dann sage ich ihnen, wenn es nicht irgendwann mal jemanden gibt, der wirklich einen linken Gegenentwurf in der Bundesrepublik gegen Schwarz-Gelb organisieren will, dann ist die SPD auf Dauer dazu verurteilt, Vizekanzlerkandidaten zu küren.
Aber das soll uns nicht beeindrucken. Ich wünsche euch …, dass wir nicht Befindlichkeiten mit programmatisch gravierenden Differenzen verwechseln und dass wir niemals, liebe Freundinnen und Freunde, diese Sehnsucht nach der Freiheit aufgeben, … denn diese Sehnsucht nach der Freiheit ist der Kern unseres Auftrags. Bitte kämpft um diese gemeinsame LINKE und macht sie wieder stark!
Die von uns gekürzten Reden finden sich vollständig auf der LINKEN-Website: www.die-linke.de
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