- Reise
- 10. nd-Lesergeschichten-Wettbewerb
Wie ich Karl May nach Sachsen trug
Prof. Dr. Peter Porsch aus Partenstein (1. Platz)
Die Sache ist lange her. Es geschah zu Zeiten, in denen Nachkriegseuropa wohl geordnet zu sein schien. Vielleicht sogar für die Ewigkeit? Ordnung verlangt Ordnung halten. Das machte Reisen damals in bestimmten Fällen ziemlich beschwerlich, nämlich in den Fällen, in denen mehrere Grenzen überschritten werden mussten oder gar eine von einem Weltsystem ins andere und im »fremden« System vielleicht auch noch mehrere.
So war das irgendwann Ende der Sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auch in meinem Fall. Als Wiener unsterblich verliebt in eine junge Frau in der DDR, unverrückbar bereit, sie zu heiraten und deshalb immer wieder unterwegs zwischen den Welten, begann man auch das eine oder andere zwischen diesen Welten auszutauschen - Bücher zum Beispiel.
Natürlich wusste man, dass das Probleme bringen konnte - jedenfalls in Richtung von Drüben-West nach Hüben-Ost. Zwar nahm ich sehr viel eher und mehr Bücher aus der DDR nach Wien mit. Die Bücher waren billiger, und so manche waren auch in Österreich nicht oder nur mit viel Aufwand zu haben.
Jetzt geht es aber um die umgekehrte Richtung, erstaunlicherweise aber um einen sächsischen Autor. Es geht um Karl May. Er wurde nicht aufgelegt in der DDR und deshalb auch nicht in Sachsen, jedenfalls nicht im Jahre 1967. Er war aber auch nicht vergessen, und wer noch alte Bände besaß, verborgte sie nicht gerne. Sie waren wertvoll.
In Wien bekam man sie freilich als Taschenbücher fast nachgeschmissen. So war es nicht verwunderlich, dass der kleine Bruder der Braut sich ein Herz fasste und an mich den Wunsch nach Karl May äußerte. Ich fasste mir ebenfalls ein Herz und steckte bei der nächsten Reise die Bücher über Winnetou und jenes, das durch die Wüste führt ein.
Ich will aber auch zugeben, schon als kleiner Junge und auch jetzt als Student der Germanistik den Büchern von Karl May kaum etwas abgewonnen zu haben. Meine ältere Schwester las sie mit Begeisterung und konnte den ganzen langen Namen von Hadschi Halif Omar auswendig in rasender Geschwindigkeit daher sagen. Ich las dagegen viel lieber ihre Mädchenbücher. Aber zurück zur Geschichte.
Tschechoslowakische Grenzer interessierten die Mitbringsel des Transitreisenden nicht, wohl aber den Zöllner, der mein Gepäck bei der Einreise an der kleinen Grenzstation der DDR, hinter der das sächsische Vogtland lag, kontrollierte. Die Bücher wurden entdeckt. Auf der Zollerklärung standen sie natürlich nicht. Der Zöllner belehrte mich, dass man mit Karl May in seinem Land »nicht so ganz einverstanden« wäre und deshalb die Bücher ein Problem darstellten - ein weltanschauliches halt im wahrsten Sinne des Wortes, wie ich vermutete.
Ich gestand ihm, dass ich Karl May auch nicht gerade übermäßig schätzte und ich, sollte ich die Bücher nicht über die Grenze bringen dürfen, nicht gleich in Wut und Tränen ausbrechen, es aber im Namen eines halbwüchsigen Jungen doch bedauern würde. Der Junge war dem Grenzer vielleicht egal, oder auch nicht. Aber der Grenzer fasste sich ebenfalls ein Herz und meinte, die Konfiskation würde eine Menge bürokratischen Aufwands bringen. Die Bücher müssten hinterlegt, ein Protokoll müsste angefertigt werden, und bei meiner Rückreise müssten mir die Bücher wieder ausgehändigt werden, was wiederum ein Protokoll erforderlich machen würde.
Einfacher sei doch, so sein Vorschlag, die Bücher als mein Eigentum auf die Zollerklärung zu schreiben. Dann könnte ich sie mitnehmen. Da er meinen Papieren entnahm, dass mein Aufenthalt einige Wochen dauern würde, meinte er außerdem, in dieser Zeit könnte der Knabe doch die Bücher lesen. Ich müsste sie dann nur wieder mitbringen.
Gesagt, getan! Die Schreibarbeit war jetzt bei mir. Sie war aber marginal. »Drei Bücher« schrieb ich auf die Zollerklärung. Die Titel ließ ich weg. Dem Zöllner genügte es. Warum auch immer. Zurück bin ich mit ganz anderen Büchern im Gepäck gefahren. Der längst zum Großvater gewordene Junge besitzt »seine Karl May« aber heute noch.
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