Anstoß
Marginalien zur Fußball-EM Heute: HANS-DIETER SCHÜTT
Man geht fehl, wenn man den UEFA-Fußball nur als Handlanger des Kapitalismus geißelt. Er ist ebenso ein Partisan des Fortschritts. Das Kölner Marktforschungsunternehmen »rheingold« fragt nach den Zusammenhängen von Sport und Politik und erinnert an die letzte EM: Eine unmittelbare Folge des Fußballgeschehens damals sei doch tatsächlich - das Erstarken der Linkspartei gewesen. Denn ein geradezu grassierendes Teamgefühl der Deutschen habe eine verstärkte Sensibilität auch gegenüber sozialen Fragen bewirkt - und unser herzoffenes Volk zeigte sich darum sehr aufgeschlossen, als die LINKE damals kraftvoll zur Gerechtigkeitsdebatte anhub.
Und jetzt, 2012? »Wir werden gut mit Doppelbelastung fertig«, so beantwortet Philipp Lahm Fragen zu Nachwirkungen einer besonders harten Saison. Das muss die besagte Partei erst noch beweisen - mal sehen, wie lange sie es aushält, zur Doppelbelastung betont locker »Doppelspitze« zu sagen. »Es gab nur ganz leichte Prellungen, zum Glück nicht links«. So kommentierte Oliver Kahn im Fernsehen das Spiel Mesut Özils - und so hätte die erwähnte Partei am liebsten wohl auch ihren kürzlichen Parteitag besprochen gehabt. Aber Kahn kommentiert Fußball, nicht Freistilringen - er tut das derzeit übrigens fürs ZDF, in der Ostsee, auf einer populistischen Plattform und vor einem Publikum, das reha-verdächtig in Liegestühle eingepackt ist und wohl in jedem Moderator einen Karl Moik oder Otto Schenk sieht .
Weitere linke Anzeichen? Kein Zufall, dass 13 von 16 Mannschaften das Rot in der Landesflagge tragen. Griechenland, Ukraine und Schweden zeigen in ihren Flaggen warnend jenes Blau, das Rote wie Schwarze wie Grüne oder sonstige Blasse auf ihren langen Machtwegen vom Himmel lügen.
Längst wissen wir, dass der Fußball bis ins Kanzleramt rollt. Die deutsche Elf der siebziger Jahre setzte man ins Verhältnis zur entspannungsoffenen Europapolitik von Brandt. Vogts verkörperte dann das angestrengt aussitzerische System Kohl. An Klinsmann gefiel, dass er am allerwenigsten in eine Verbindung mit Merkel zu zwingen war. Was auch Löw schafft, und sei es nur durch auffällig gut sitzende Kleidung.
Politiker und die EM. Auch der Papst gab dem Großereignis bekanntlich seinen Segen - was Löw im ersten Gruppenspiel bewogen hatte, eine Aufstellung von Toni Kroos zunächst aufzuschieben. Denn der Münchner wäre durch Benedikt betörend falsch ermuntert worden - nicht »zielführend«, wie die Politsprachbolzer momentan gern sagen. Kroos neigt nämlich mit besonders kräftigem Ehrgeiz zum Fernschuss in die Wolken - hinter denen man ja, wenigstens vulgärtheologisch, den Sitz göttlichen Personals vermuten darf. Eines seiner berühmten Hymnen an den Ball lässt der Fußball-Poet Ror Wolf so enden: »Er steigt und schwebt und gleitet wie gewohnt:/ dort fliegt er, oben, schöner als der Mond.«
In Fernseh-Werbepausen, bei der Reklame für eine Fluglinie, sieht man öfters Rainer Calmund in irgendwelchen Wolken sitzen - ungeklärt wird bleiben, wer ihn da hinaufgeschossen hat. Kroos tut unschuldig.
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