Länder fürchten Notstand
Bundeskanzlerin Merkel wird auch von den Ministerpräsidenten unter Druck gesetzt
Es steht schlecht um die Haushalte der Länder und Kommunen. Wie schlecht, kann man am Zerren um den Fiskalpakt erkennen, gegen den die Regierungschefs der Bundesländer ja nichts Grundsätzliches einzuwenden haben, dem sie bisher aber ihre Zustimmung verweigern - auch diejenigen mit CDU-Parteibuch. Ein Treffen der 16 Länderchefs am Donnerstagnachmittag mit der Bundeskanzlerin in Berlin änderte daran vorerst nichts.
Der 29. Juni ist immerhin als Tag der letzten Entscheidung vereinbart. Am Tag danach ist vorgesehen, dass der Rettungsschirm ESM in Kraft tritt, der in Deutschland gleichzeitig mit dem Fiskalpakt verabschiedet werden soll. Bundeskanzlerin Angela Merkel wolle am Nachmittag des 29. Juni vom EU-Gipfel in Brüssel nach Berlin zurückreisen, um an der Bundestagssitzung teilzunehmen, hieß es in den Agenturen. Damit steht ein Termin für die letzte Entscheidung fest, die Details allerdings waren bei nd-Redaktionsschluss am Donnerstagnachmittag weiterhin offen. Während die Oppositionsparteien im Bundestag - mit Ausnahme der LINKEN, die den Fiskalpakt grundsätzlich ablehnt - vor allem »Gegenleistungen« der Koalition auszuhandeln versuchen, haben die Länder zudem das Problem, dass sie nicht wissen, wie sie die Auflagen des Fiskalpakts zur Schuldenbekämpfung erfüllen sollen. Sparmaßnahmen würden nicht reichen, um das strukturelle Haushaltsdefizit zu beseitigen, hatte tags zuvor der schleswig-holsteinische Ministerpräsident und Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Torsten Albig (SPD), in seiner Antrittsrede vor dem Kieler Landtag gesagt. »Niemand in diesem Land hat genügend Fantasie, wie das - ohne das Land in Schutt und Asche zu legen - gehen soll.« Allein in Mitteln, die der Bund zur Verfügung stellt, sehen die Länder einen Ausweg. Im Gespräch sind eine grundsätzliche Neuordnung der Finanzströme zwischen Bund, Ländern und Kommunen ebenso wie mögliche Mehreinnahmen über Erbschaft- und Vermögensteuer oder einen höheren Spitzensteuersatz. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hatte nach einem Treffen der Länderchefs einen gemeinsamen Altschuldenfonds zum Abbau von Länderschulden ins Spiel gebracht. Es sei »so nicht tragbar«, dass beim gesamtstaatlichen Defizit die Länder die Verantwortung für die Kommunen übernehmen sollten, gab AFP ihn wieder.
Für eine Billigung des Fiskalpakts für Europa ist eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig. Die schwarz-gelbe Koalition ist also auf die Zustimmung von Teilen der Opposition angewiesen; SPD und Grüne haben im Prinzip Unterstützung signalisiert, versuchen im Gegenzug aber »Gegenleistungen« auszuhandeln: die Finanztransaktionssteuer und einen Schuldentilgungsfonds vor allem, die die Bundesregierung in Europa vorantreiben soll. Die Grünen verlangen darüber hinaus die Zustimmung zu Energieeffizienzrichtlinien, die in Europa praktisch vereinbart sind, aber noch vom Okay aus Deutschland abhängen. Solarförderung im Vermittlungsausschuss, Fiskalpakt in Bundestag und Bundesrat, Energieeffizienzrichtlinien in der EU, jedes Thema hat jetzt Auswirkungen auf ein anderes - auch weil die Gremien in einer Art Güterabwägung Dinge in Verhältnis setzen, die sonst getrennt behandelt würden. Der Ausgang ist offen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.