Stühlerücken im französischen Parlament

Sozialisten mit absoluter Mehrheit

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung in Frankreich triumphierte die Partei von Präsident Hollande. Erstmals seit über 20 Jahren zog jedoch auch die rechtsextreme Front National ins Parlament ein.

Bei den französischen Parlamentswahlen, die am Sonntag mit dem zweiten Wahlgang ihren Abschluss fanden, bekam die Sozialistische Partei (PS) die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung und Präsident François Hollande damit mehr, als er sich wünschen konnte. Angestrebt hatte er zumindest eine linke Mehrheit, doch nun kann seine Partei sogar regieren, ohne auf unbequeme Koalitionspartner Rücksicht nehmen zu müssen, wie die Grünen oder die Linksfront aus Kommunisten und Partei der Linken.

Die Sozialisten haben jetzt alleine 299 und mitsamt der zu ihrer Fraktion gehörenden Partei der Linken Radikalen (PRG) und anderen Splitterparteien sogar 314 Sitze in der neuen Nationalversammlung. Die rechte Einheitspartei UMP fiel mit ihren Bündnispartnern auf 229 Sitze zurück und die Zentrumspartei Modem, deren Vorsitzender François Bayrou geschlagen wurde, hat nur noch zwei Abgeordnete.

Dagegen kann die rechtsextreme Front National (FN) mit zwei Abgeordneten erstmals seit mehr als 20 Jahren wieder in der Nationalversammlung Platz nehmen. Während ihre Parteivorsitzende Marine Le Pen im Norden geschlagen wurde, aber wegen des geringen Rückstands von 108 Stimmen das Ergebnis anfechten will, war ihre 22-jährige Nichte Marion Maréchal-Le Pen im südfranzösischen Carpentras erfolgreich und wird damit jüngstes Parlamentsmitglied. Sie konnte davon profitieren, dass sich die sozialistische Kandidatin im zweiten Wahlgang nicht zugunsten des UMP-Kandidaten zurückgezogen hat, wie es ihre Parteiführung gefordert hatte. Umgekehrt profitierte der unlängst zur FN gestoßene Anwalt Gilbert Collard im Wahlkreis Bouches-du-Rhône davon, dass sich hier der UMP-Kandidat zu seinen Gunsten zurückzog, um auf jeden Fall den sozialistischen Regionalratspräsidenten Michel Vauzelle zu stürzen.

Einem »Dissidenten« fiel in La Rochelle auch die von der PS-Parteiführung gegen den Willen der örtlichen Genossen aufgestellte Ségolène Royal zum Opfer. Ihren erfolgreichen Ex-Parteigenossen Olivier Falorni beschuldigte sie daraufhin, »als Kandidat der Rechten und Rechtsextremen« gesiegt zu haben, weil einige rechte Politiker aufgerufen hatten, ihn zu unterstützen. Falorni, der sich seit seinem Ausschluss aus der PS als »parteiloser Sozialist« bezeichnet, wertet seinen Erfolg als »Sieg der Demokratie«. Er habe ihn mit dem Programm des sozialistischen Präsidenten errungen, dem fühle er sich auch weiterhin verbunden und verpflichtet.

Relativiert wird das von manchen Kommentatoren als »erdrutschartig« bezeichnete Wahlergebnis der Sozialisten allerdings durch die in der Geschichte der 5. Republik beispiellose Rekordenthaltung der Wähler, von denen nur 56,2 Prozent ihre Stimme abgaben. Rechte Kritiker wie der UMP-Parteivorsitzende Jean-François Coppé verweisen nun darauf, dass »damit die Sozialisten letztlich doch nur von einem Viertel der Franzosen gewählt wurden«. Ein positiver Rekord wurde dagegen mit der Wahl von 155 Frauen aufgestellt, 48 mehr als in der letzten Nationalversammlung - obwohl man auch damit noch weit entfernt ist von der offiziell von allen Parteien angestrebten Parität.

Für die Partei der Grünen zahlte sich das Wahlbündnis mit der PS aus, denn sie erhielt 17 Sitze. Dagegen kam die Linksfront, die aufgrund des Widerstands von Jean-Luc Mélenchon und seiner Freunde von der Partei der Linken kein Wahlbündnis zustande gebracht hatte, nur auf zehn Sitze - neun für die kommunistische FKP und einer für die Partei der Linken. Das sind weniger als die Hälfte der 24 Sitze, die allein die FKP in der letzten Nationalversammlung hatte. Damit kann die Linksfront keine Fraktion bilden, wofür mindestens 15 Sitze erforderlich wären.

Noch ist offen, ob die PS eine Geste machen und die Grenze auf zehn Sitze senken wird, wie zuvor im Senat. Pierre Laurent, Nationalsekretär der FKP, bezeichnete den überwältigenden Sieg der Linken als »Ausdruck dafür, dass die Masse der Franzosen endlich die Epoche Sarkozy hinter sich lassen will«. Die Rechte sei allerdings immer noch stark genug, um entscheidenden Änderungen in Politik und Wirtschaft Widerstand entgegenzusetzen und sie vielerorts zu blockieren. Das schlechte Abschneiden der Linksfront trotz des Zugewinns an Stimmen in vielen Wahlkreisen wertete er nicht zuletzt als Ergebnis des ungerechten Mehrheitswahlsystems und forderte die zumindest teilweise Ablösung durch ein Verhältniswahlsystem. »Auf die Linksfront entfielen 25 Prozent der linken Stimmen bei der Präsidentschaftswahl und 15 Prozent bei der Parlamentswahl und trotzdem kommt sie jetzt auf weniger als fünf Prozent der linken Parlamentssitze«, sagte er. Das sei das Ergebnis einer fortschreitenden Bipolarisierung. »Diese Anomalie führt dazu, dass sich die beiden dominierenden Parteien 90 Prozent der Sitze im Parlament teilen.« In der FKP stimmt in den nächsten Tagen die Basis über eine eventuelle Regierungsbeteiligung ab, doch zeichnet sich ab, dass es keine kommunistischen Minister geben wird, da sie faktisch einflusslos wären.

Der überwältigende Sieg der Sozialisten ist diesmal größer als 1981 nach der Wahl von François Mitterrand zum ersten linken Präsidenten des Landes, als die PS bei der folgenden Parlamentswahl schon einmal die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung bekam. Aber anders als seinerzeit gibt es seit Kurzem auch eine linke Mehrheit im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, und von den 22 Regionen des Landes werden 21 von einer linken Mehrheit und einem PS-Regionalratspräsidenten geführt. Damit erwächst den Sozialisten eine große Verantwortung, diese Machtfülle so schnell wie möglich in Ergebnisse umzumünzen und die großen Erwartungen so vieler Franzosen nicht zu enttäuschen, betonte Premierminister Jean-Marc Ayrault am Wahlabend.

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