Hauptsache schön und offensiv

Die Umwege der niederländischen Revolution

Zahlenspielerei: 4-3-3 oder 4-5-1 meint dasselbe. nd-Grafik: Wolfgang Wegener
Zahlenspielerei: 4-3-3 oder 4-5-1 meint dasselbe. nd-Grafik: Wolfgang Wegener

Im Grunde genommen sind die Niederlande nicht nur Vizeweltmeister, sondern Welt- und auch Europameister. Zwar ist die »Elftal« nach dem 1:2 (1:1) gegen Portugal ausgeschieden, aber wer will schon so kleinlich sein, alles an einem verlorenen Spiel festzumachen. Oder drei. Natürlich sind die Niederlande noch dabei in Polen und der Ukraine, denn »Oranje« steckt in vielen Mannschaften, zumeist Spitzenteams.

Ob nun spanische Kurzpassfiesta oder deutsches Spiel in die Tiefe des Raumes, der erfolgreiche und mithin moderne Fußball wäre ohne die niederländische Revolution nicht denkbar. Die gedanklichen Anfänge liegen über 90 Jahre zurück und führen zum - ein Schulterklopfer für das sogenannte Mutterland - Engländer John Reynolds. Der trainierte bis 1947 Ajax Amsterdam, und irgendwann in dieser Zeit auch den Spieler Marinus Jacobus Hendricus Michels.

Besser bekannt ist er als Rinus Michels. Und bedeutender als seine Leistungen auf dem Platz als Stürmer - in fünf Länderspielen blieb er ohne Tor - sind die an der Seitenlinie. Als Trainer bei Ajax Amsterdam entwickelte er Reynolds Konzept weiter. Der »Totale Fußball« war geboren.

Im 4-3-3-System gewann Ajax Anfang der 70er Jahre dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister, die zuvor erfolglose niederländische Nationalelf wurde urplötzlich ein ernstzunehmender Titelkandidat. Stürmer verteidigen, Verteidiger stürmen, alle beteiligen sich am Spielaufbau: Die Idee des totalen Fußballs braucht auf allen Positionen Spieler mit feinster Technik und großem Taktikverständnis. Raumdeckung und Pressing verlangen zudem hohen läuferischen Einsatz.

Und das Wichtigste bei alldem: Hauptsache schön und offensiv. Das begründet auch den ungebrochenen Stolz der niederländischen Fans. Wenn schon keine Titel, außer dem EM-Triumph 1988, feierten sie einfach trotzig die höchsten B-Noten. Aber selbst das ist ihnen nicht mehr vergönnt.

Was ist passiert? Die niederländische Revolution ist über Umwege beim Nachbarn Deutschland angekommen. Nach der blamablen EM 2000 wurde vom DFB ein Nachwuchsprogramm aufgelegt, das seitdem technisch und taktisch bestens ausgebildete Spieler hervorbringt. Auf allen Positionen! In den Niederlanden dagegen scheint Verteidiger ein Schimpfwort zu sein. Die niederländische Defensive lud Cristiano Ronaldo, bis Sonntagabend ein sehr trauriger EM-Star, höflich zu zwei Treffern und vielen weiteren Chancen ein.

Der DFB hat das niederländische Konzept adaptiert und dabei gute alte Tugenden nicht vergessen. So richtig angestachelt wurden die Deutschen aber erst von den übermächtigen Spaniern. Beide spielen ein 4-5-1-System, was nur Zahlenspielerei ist, genauso gut kann man es auch 4-3-3 nennen: in jedem Fall vier Verteidiger, zwei zentrale Defensive und ein Offensiver im Mittelfeld, zwei Außenbahnspieler und ein Mittelstürmer. Die Spanier haben die niederländische Idee als erste aufgegriffen und mit ihrem Kurzpassspiel verfeinert. Kein Wunder: Rinus Michels brachte es ihnen bei - als Trainer des FC Barcelona.

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