Werbung

Gewinnen sollen die Besten

Die Kabarettisten Lioba Albus und Fritz Eckenga über Fußball, der nicht komisch ist

  • Lutz Debus
  • Lesedauer: 8 Min.

nd: Frau Albus, Herr Eckenga, gucken Sie die Fußball-EM?
Lioba Albus: Ich gucke gegen meinen Willen. Seit dem Champions-League-Finale fremdele ich noch mit den bayrischen Spielern. Wenn man im Ausland so dasteht, dass man noch immer nicht das Verlieren gelernt hat, bekommt das so einen unangenehmen Duft.

Fritz Eckenga: Ich habe da eine Minderheitenmeinung. Das darf ich als Dortmunder gar nicht sagen, aber es gibt bei den Bayern ein paar Spieler, die gern so einen Fußball spielen würden, wie der BVB ihn spielt. Schweinsteiger, Kros und Lahm sind gute Fußballer, werden aber von den Einzelartisten behindert. Robben hat noch immer nicht gemerkt, dass Fußball ein Mannschaftssport ist.

Dortmund gegen Bayern, ist das der Kampf Proletariat gegen Kapital?
Albus: Das wird gern so dargestellt. Wenn ich mich mal ein ganz kleines bisschen neben das eigene Herz stelle und es mit dem Kopf betrachte, stelle ich aber fest, dass auch die Dortmunder Spieler so hoch bezahlt sind, dass man hier auch nicht mehr vom Proletariat sprechen kann. Leider. Dass also der BVB von Untertage aus gegen den bayrischen König Ludwig kickt und kämpft, ist eher nicht anzunehmen.

Eckenga: Das darf man so gar nicht sehen. Der Grad der Selbstverarschung ist sowieso sehr groß, wenn man zum Fußball geht. Man muss für seinen Verein dann schon den Verstand an der Garderobe abgeben. Klar, Bayern macht als Marktführer den meisten Umsatz. Aber auch in Dortmund herrscht der Kapitalismus in Reinform. Der BVB war vor Jahren nahezu insolvent, hat sich an alle möglichen Finanzhaie gekettet und ist dann richtig vor den Baum gefahren worden. Dann hat eine relativ kluge Vereinsführung Jürgen Klopp als Trainer verpflichtet und aus der finanziellen Not heraus die Jugendarbeit gefördert und so billige, aber gute Spieler bekommen. Wäre damals genug Geld dagewesen, dann wäre alles wahrscheinlich genauso fürchterlich weitergegangen.

Jürgen Klopp ist ein bisschen Che Guevara?
Albus: Der ist alles. Jeder erlaubt sich, Klopp das anzudichten, was ihn in gottesähnliche Position bringt. Das Phänomen Klopp hat etwas damit zu tun, dass wir eine relativ vaterlose Gesellschaft sind und der Kerl ein positives Vaterbild abgibt.

Eckenga: Klopp ist einfach ein sehr guter Trainer. Der Rest ist Projektion. Er ist natürlich ein marktgängiger Typ, weil er so ist, wie er ist, weil er sich nicht verbiegt. Er muss jetzt natürlich aufpassen, dass er den Ball weiter flach hält. Für Dortmund ist er ein Glücksfall, für ihn ist aber auch Dortmund ein Glücksfall. Nirgendwo sonst in der Republik gibt es so viele Fußballbekloppte.

Fußballvereine werden von Wurstfabrikanten geleitet oder sind Aktiengesellschaften. Kann man als Linker überhaupt Fußballfan sein?
Eckenga: Bei mir spielt das keine Rolle, ob ich das darf oder nicht. Bei mir ist das eine genetische Vorbestimmung.

Das geht jetzt schon in Richtung Sarrazin.
Eckenga: Ja klar. Ich wurde im Alter von sechs Jahren zwangsverheiratet. Da ist mein Vater mit mir zum Stadion »Rote Erde« gegangen. Die Hinfälligen werden sich an den Namen erinnern. Ich habe mich an jenem Nachmittag sofort in die Mannschaft verliebt und bin noch immer mit dem Verein verheiratet. Zwangsehen können also auch glücklich ausgehen. Aber das steht in dem Buch von Thilo Sarrazin ja eher nicht.

Albus: Es steht auch nirgendwo geschrieben, dass sich Linke nicht auch in Macht und Geld verlieben dürfen. Anders kann ich mir nicht erklären, dass Sahra Wagenknecht an Oskar Lafontaine gegangen ist. Geld und Macht durchdringen alles. Das betrifft die Politik, den Fußball, alles. Ich dürfte als Mensch also gar nicht mehr genießen. Deshalb geh ich dahin, wohin mich mein Herz trägt. Ich bin übrigens auch zwangsverheiratet worden. Als ich hier im Theater als Schauspielerin anfing, hat der Chefdramaturg zu mir gesagt: »Hömma, erst mal musst Du im Stadion.« Wir waren in der Südkurve. Ich wusste zunächst nicht, warum ich wasserdichte Sachen anziehen sollte. Das hab ich dann begriffen. Man bekommt da Bier und andere Flüssigkeiten in den Nacken geschüttet. Aber ich hab gemerkt, da funktioniert was, wonach wir uns alle sehnen. Es geht um das Gruppengefühl.

Eckenga: Ich weigere mich, meine Leidenschaft für Fußball politisch zu analysieren. Früher hat mich mein Vater mitgenommen und wir standen nebeneinander. Jetzt nehme ich meinen Vater mit und wir sitzen nebeneinander. Vater kann nicht mehr so lange stehen, nimmt seinen Krückmann mit. In Dortmund, das muss man Außerirdischen ja erklären, ist ein Heimspiel ein gesellschaftliches Ereignis, das mitten in der Stadt stattfindet. Man trifft sich schon mittags. Ich bin nur dann nicht da, wenn ich beruflich verhindert bin.

Ein Fußballverein bedient immer ein Image. St. Pauli ist Punk, Freiburg ist für die Linksintellektuellen. Gladbach war für die 68-er. Paul Breitner war Maoist.
Eckenga: Das ist großer Quatsch. Das hat mit Fußball nichts zu tun. Da werden Modeartikel geschaffen.

Albus: Man kann sich auch ganz entspannt davon befreien, dass beim Fußball viel Intelligenz versammelt ist.

Jetzt wird nicht mehr Bundesliga gefeiert, sondern Schwarz-Rot-Gold. Darf man das?
Albus: Auch wir, die wir schon mal Juckreiz bekommen, wenn wir Schwarz-Rot-Gold sehen, haben immer die latente Sehnsucht, eine positive Position zum eigenen Land zu finden. Was gibt es da für Möglichkeiten? Das ist gar nicht so einfach. Lena hat es vor zwei Jahren beim Eurovision Song Contest geschafft, dass wir Deutschland mal nicht ganz so Scheiße fanden. Der Fußball hat es zur WM vor sechs Jahren geschafft.

Warum ist Fußball eigentlich wieder männlich?
Albus: Die Männer haben ihre alte Rolle verloren. Im Fußball ist sie noch eindeutig definiert. Da wird Männlichkeit gelebt. Frau würde es sogar noch ertragen, wenn ein Mario Götze im Stehen pinkelt. Warum soll der sich hinsetzen? Fußball ist eine Männerdomäne, und danach gibt es eine Sehnsucht.

Ist denn Fußball auch mal lustig?
Albus: Fußball ist ungefähr so lustig wie Religion. Es darf nicht gelacht werden. Das ist ganz, ganz, ganz wichtig. Ein paar Bekloppte haben es versucht, Fußball und Kabarett zu kombinieren. Der Fußballfan an sich möchte eigentlich nicht lachen. Sich satirisch mit Fußball zu beschäftigen ist erst mal nicht so sehr angesagt.

Eckenga: Nein, Fußball ist überhaupt nicht komisch. Essen ist nicht komisch. Trinken und Atmen auch nicht. Trotzdem habe ich natürlich das Thema Fußball immer mit in meinem Programm. Gerade, wenn sich irgendein Politiker nach dem Spiel an irgendeinen Fußballhelden dranflanscht, damit er auch mal wieder ins Fernsehen kommt, ist das eine Erwähnung wert. Man kann auch über mafiöse Strukturen im Fußball reden. Da reicht dann in der Regel das Wort »Blatter« und die Leute lachen. Aber ich würde nie einen ganzen Abend mit diesem einen Thema gestalten.

Kabarettist Frank Goosen macht das.
Eckenga: Für Frank gelten andere Gesetze. Er lebt in VfL Bochum, ist sogar Funktionär im Verein. Das ist ja alles schon sehr, sehr hart. Ich glaube, Franks Fußballprogramme auf der Bühne sind eigentlich eine selbstverordnete Reha-Maßnahme. Und wenn Fußballspieler sprechen, ist das ja auch schon mal unfreiwillig komisch.

Albus: Ja, aber das hat etwas damit zu tun, dass die Spieler ihren Kopf oft nicht so sehr benötigen. Das merkt man besonders dann, wenn sie vor dem Mikro unter Lippeninkontinenz leiden. Ich finde Günter Netzer atemberaubend komisch. Er selbst sieht das aber wahrscheinlich nicht so.

Eckenga: Ich guck mir auch im Fernsehen mal Fußball an. Aber nicht in der Halbzeitpause oder vor oder nach dem Spiel diese unglaublichen Inszenierungen. Ich muss von Oliver Kahn nicht erzählt bekommen, dass die Spieler gerade unglaublich Druck haben. Auch Oliver alkoholfreies Bierhoff und Jogi Löw mit Nivea am Finger, das muss ich alles nicht haben.

Sie lassen sich gar nicht vom Meisterschaftsfieber anstecken?
Eckenga: Teilweise finde ich das sogar unerträglich. Alle zwei Jahre interessieren sich die Deutschen für Fußball. Da dürfen dann alle mitmachen. Ich habe bei der WM 2006 in Dortmund Länderspiele besucht, in »meinem« Stadion. Da war kaum Fußballpublikum im Stadion, da waren schwarz-rot-gold angemalte Helden von Bern mit ihren Retro-Trikots, Baumarktfähnchen am Hut. Leute, die sonst nie ins Stadion gehen. Ich hab mich benommen, wie ich mich auf dem Fußballplatz immer benehme, hab rumgeschrien, und ich erntete verständnislose Blicke. Nach dem Spiel war mir meine eigene Stadt plötzlich fremd. Diese ganzen patriotischen Suffköppe pissten die Straßen zu, fanden sich dabei toll, und später wurde das von den Medien als positiver Patriotismus gefeiert.

Wer wird Europameister?
Albus: Hoffentlich nicht Deutschland. Dann werden wir im Ausland zu unsympathisch.

Eckenga: Mir ist das eigentlich egal. Wenn sie gut spielen, dürfen sie das Turnier auch gewinnen. Aber ich habe dann auch wieder Angst davor, was daraus gemacht würde. Von mir aus dürfen die Besten gewinnen, und das ist Spanien.

Albus: Schon wieder? Na gut. Die haben im Moment so einen peinlichen König. Da gönn ich ihnen den Europameister.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.