Schäfer Krawatte
Wenig Geld, raue Umstände - Andreas Karwath ist mit seiner Herde das ganze Jahr unterwegs und hängt an seinem Traumjob
Schäfer Krawatte ist nicht Schäfer Heinrich. Anders als der westfälische Hammelhalter, der in einer Klamauk-Show des Privatfernsehens den Dorftrottel gibt, hätte der Thüringer auch keine Mutter, die ihm die Tiere versorgt, wenn er durchs Land tingelt.
Schäfer Krawatte sieht sicher auch besser aus als Schäfer Heinrich, authentischer, männlicher. Eine Frau hat er dennoch nicht, jedenfalls nicht mehr. Wer 365 Tage im Jahr mit 600 Mutterschafen und ebenso viel Nachzucht wanderhütet, führt ein familienfeindliches Leben. Eine Gefährtin, die dazu passt, müsse man wohl erst noch backen, orakelt er.
Schäfer Krawatte heißt eigentlich Andreas Karwath. Da lag es irgendwie nahe, dass man ihn Krawatte nennt. »Schon seit der fünften Klasse«, grient er. Nun ist er 52. Karwaths Job ist ein Knochenjob. Um ihn zu ertragen, um 16 Stunden täglich für ein paar hundert Euro im Monat zu arbeiten, muss man aus hartem Holz geschnitzt sein. Das heißt, mit Holz wollte er als junger Mann bald nichts mehr zu tun haben. Denn eigentlich hatte er Bautischler gelernt. Der Vater, ein Schweinemäster, befand nämlich, der Junge solle es einmal besser haben - mit freien Wochenenden und so.
Durch drei Bundesländer
Es ist früher Vormittag, noch morgendlich frisch. Karwath hat eine dicke Jacke übergezogen. Seine Herde übernachtete wie immer im Elektropferch, diesmal nahe Golmsdorf. Eben fährt Marcel Stupp vor, sein junger Mitarbeiter, den er auf 400-Euro-Basis entlohnt. Beide rollen den Verhau ein, dann öffnet Stupp die Hecktür des angejahrten Transporters. Sofort springen die Hunde Hexe und Paul heraus - und an Krawattes Jacke empor. Die ersten Streicheleinheiten sind fällig. Tiere seien seien Welt, strahlt der Schäfer.
Pferde oder Schafe, hieß die Frage, als Karwath Anfang 20 war. Die Pfennigsucher verhießen mehr Zukunft im hochmechanisierten Lande, also schulte er in Wettin auf Schäfer um. An die Jahre danach, als LPG-Hüter im südostthüringischen Geisenhain, denkt er gern zurück. Es waren wohl seine besten im Beruf. Nebenher konnte er 30, 40 eigene Schafe mitlaufen lassen. »Das brachte richtig Geld«, erinnert er sich. »Heute kriegst du für 40 Kilo Lebendlamm 80 Euro, damals waren es für 20 Kilo 190 Mark - davon konntest du schon fast 'nen Monat leben. Von der Wolle ganz zu schweigen …« Am Ende hätte er mit 50 Schafen so viel gehabt wie heute mit 500.
Karwath winkt Stupp heran, bespricht die Tagestour. Bis Mai ziehen sie vor allem über unbestellte Felder oder Brachwiesen, sofern noch keine Gülle darauf rieselte. Nach der Ernte geht es auf Stoppelflächen, später auf Getreideauswuchs. Das sei oft ein »richtiger Wettlauf: Schäfer gegen Grubber und Giftspritze.« Sein Stammterrain spannt sich von Bad Köstritz bis zu den Weinhängen in Sachsen-Anhalt. Nordwärts ins Nachbarland soll es auch heute gehen. »Dort weiß man uns Schäfer noch zu schätzen«, meint er spitz. Deshalb hat er sein Revier mehr jenseits der Thüringer Grenzen, bis hoch nach Bitterfeld und rüber nach Sachsen.
Die Flächen im Saale-Holzland-Kreis bei Jena, wo er lebt, würden dagegen immer knapper. »Dabei gäbe es noch genug zu hüten!«, kann er sich erregen. Es wäre doch eine billige Alternative zur maschinellen Bearbeitung: Man müsse nicht die letzten Stoppeln runterholen, brauche nicht zu mulchen. Alles besorgten die Schafe und träten auch noch die Mäuselöcher zu. »Der goldene Tritt halt«, lacht er selbstbewusst. Früher hätten dies die Bauern zu würdigen gewusst, heute dagegen stelle mancher die Schäfer hin, »als würden wir ihnen etwas mausen«.
Die Herde zieht los. Hexe und Paul reagieren wie gut erzogene Kinder auf die Kommandos des Schäfers. Nach jeder getanen Pflicht kommen sie, um sich ihr Lob abzuholen. Sie sind Geschwister, knapp zwei Jahre alt. »Mutter Schafpudel, Vater Kaukasischer Schäferhund«, verrät Karwath. Er habe da mal »was probiert, des Kaukasierblutes wegen«. Denn sie verteidigen so die Herde auch gegen andere Hunde.
Die Merino-Landschafe sind von klein auf gewöhnt, beim Laufen den Kopf unten zu lassen. »Ja, sicher«, lacht Karwath, »sie kennen es nicht anders.« So muss der Schäfer nicht noch einen Sack Kraftfutter mitnehmen, damit die Wollträger über den Tag kommen.
Politiker und Landpiraten
Vernimmt man einige Rechenbeispiele zu seinem täglichen Tun, scheint nicht sicher, ob er sich das Kraftfutter überhaupt leisten könnte. Denn lange, schneereiche Winter, in denen die Tiere wochenlang nichts finden und er zufüttern muss, bringen ihn schnell an die Grenze des Ruins.
Karwath führt pedantisch Buch: Die letzten 100 Winterlämmer, die er nach 100 Tagen verkaufte, brachten ihm 7400 Euro ein. »Nicht der schlechteste Preis«, findet der Schäfer, der über Händler bis Berlin und an den Rhein verkauft. »Top-Abnehmer sind die Muslime«, freut er sich. Doch stellt er seine Kosten dagegen, landet er bei 10 300 Euro. Also sei er auf staatliche Förderung, etwa Mutterschafprämien angewiesen. Doch von jenen Summen, die er brauchte, um sein Geschäft solide am Laufen zu halten, könne er im Moment nur träumen kann, winkt er ab. Sein eigener Arbeitslohn falle sowieso »durch den Rost«. Setze er hier die reale Stundenzahl an, winters bis gegen acht, sommers bis zehn Uhr am Abend, könne er gleich dicht machen. »Im Grunde hat jeder Hartz-IV-Kunde mehr zum Leben!«, behauptet er. Doch lange hält sein Groll nicht an. Schließlich geht Karwath seinem Traumberuf nach. Und es gibt ja auch Erfreuliches in der rauen Schäferei: Die Preise für Wolle ziehen gerade leicht an.
Karwath blickt zurück auf das Jahr 1990: Natürlich hätte er sich damals nicht privat machen müssen. Aber was wäre die Alternative gewesen? Zurück auf den Bau? Er winkt ab. Und die ersten Jahre, »als die vereinigte BRD noch Geld hatte«, habe er so schlecht nicht verdient. Aber die Politik!
Jetzt sollte man ihn besser bremsen. Denn bei diesem Thema läuft er zu Hochform auf. »Politiker und Behörden vertreten heute nur noch die Großbetriebe«, regt er sich so harsch auf, dass die Hunde ihre Ohren spitzen. »Oder die Landpiraten, die den Hals nicht vollkriegen.« Da würden sogar »Naturschutzprojekte an Subventionsbetrüger verschoben«. Oder eine Genossenschaft bekomme Landschaftspflegegelder, »obwohl sie gar keine Schafe hat - sie pflegen die Flächen mit dem Mulcher.« Aber wenn ein Privatschäfer eine Nachzahlung beantrage, sei der Fördertopf plötzlich leer!
Bußgeld wegen wilden Campings
Vielleicht sollte mal Schäfer Krawatte statt Schäfer Heinrich ins Fernsehen gehen. Dann käme der Berufsstand nicht nur nicht so deppert daher, sondern das TV-Volk hörte auch mehr Wahrheiten über das gern rosarot gezeichnete Metier. Das Talent dafür hätte der Thüringer allemal. Geißelt er in seiner lakonisch-spitzen Art all die Dinge, die ihm im Wanderalltag widerfahren, weiß man nicht, ob man ihn bemitleiden oder erst einmal herzlich lachen soll.
Fast gewohnt ist Karwath schon »wilde Idioten«, die geradezu böswillig auf die Herde zuhielten, wenn diese eine Bundesstraße quert. Zuweilen wehren sich Krawatte & Co. aber auch mit Schäferlist. So tragen sie stets einen kaputten Karabinerhaken am Mann. Wenn mal wieder ein Jogger oder Radler mitten durch die Herde prescht und den Verteidigungsreflex der Hunde auslöst, haben sich diese halt gerade losgerissen … 80 Prozent der Kraftfahrer seien aber okay.
Noch immer den Kopf schütteln muss er indes über einen Bußgeldbescheid vom Landratsamt Bitterfeld. 223 Euro klagt dies darin ein, weil er »wild gecampt und unerlaubt Feld- und Waldwege benutzt« habe. Denn im Januar 2010 waren Hüter wie Herde eingeschneit. Nach Hause wären es über 120 Kilometer gewesen. So hoffte er auf milderes Wetter - und schlief derweil über Wochen bei den Tieren, im Transporter.
Aber auch sein Bürgermeister sieht des Schäfers Job offenbar als putzigen Zeitvertreib. Schon mehrfach wollte der ihm für die Pudel und Strobel, mit denen er hütet, Hundesteuer abkassieren. Karwath war sprachlos. Karwath bekam schon Recht vor Gericht; der Streit aber geht weiter.
Viehdiebstahl, Netzdiebstahl, Vandalismus, Tierschützer - zu allem könnte der Schäfer lange Stories erzählen. Selbst die Hunde lasse er nachts nicht mehr im Pferch: »Auch sie werden geklaut und 200 Kilometer weiter verkauft.« Gute Hütehunde seien gefragt - und leider auch bestechlich. Doch trotz aller Nöte: Die Lust an seinem Beruf kam Andreas »Krawatte« Karwath bislang nicht abhanden. »Ich will in diesem Leben nichts anderes mehr machen«, sagt er.
Ernste Sorgen bereiten ihm allerdings die um sich greifenden Biogasanlagen. »Die sind unser Tod«, sagt er. In deren Bauch wandere heute alles, was früher seine Schafe abweiden durften. »Und was bleibt uns am Ende? Pleite, Knast, Klapse oder der Strick?«, fragt er düster. Möge ihm zuvor eine Frau begegnen, die ihn auch diesbezüglich auf andere Gedanken bringt.
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