Ins Millionen-Minus gezockt

Sächsische Klagen gegen Landesbank in Stuttgart

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Über 40 kommunale Kreditnehmer in Sachsen vereinbarten einst mit der früheren sächsischen Landesbank oder mit Sparkassen riskante Zinswetten, die ihnen nun auf die Füße fallen. Die ersten klagen jetzt gegen die Banken - womöglich nicht ohne Erfolg. Auch die Landesbank Baden-Württemberg, die 2008 die Sachsen LB übernahm, ist davon betroffen. Für gestern war vorm Landgericht Stuttgart der Start in eine Art Musterprozess angesetzt, den der Landkreis Mittelsachsen angestrengt hat.

Riesa gehörte zu den ersten, die es in Sachsen versuchten. Vizeoberbürgermeister Markus Mütsch (CDU), zugleich der Kämmerer der 34 000-Seelen-Stadt, schwärmte noch 2008 von etwas »Spannenden, Schönen und Neuen«. Nun, da sich die Verluste ins Sieben- bis Achtstellige türmen, wurde er kleinlaut. Überdies ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn: Er soll für den Abschluss von Zinsderivatgeschäften Provisionen angenommen haben.

Eine Art Hütchenspiel

Erst vor wenigen Tagen wurde Mütsch nun durch Riesas Oberbürgermeisterin Gerti Töpfer (CDU) beurlaubt. Die Hauptschuldigen für die schwere Finanzkrise der Stadt sieht die Rathauschefin indes anderswo: bei den Banken. Sie sollen Riesa wie auch weiteren 40 sächsischen Städten, Kommunalbetrieben und Zweckverbänden jene Spread Ladder Swaps - kurz: Swaps - geradezu aufgeschwatzt haben sollen. Von eingehender Risikoberatung keine Spur.

Hinter dem englischen Begriff stecken Zinssicherungs- beziehungsweise Zinsoptimierungsgeschäfte, die heute auch als Zinswetten kursieren. Mit diesen versuchen Kreditnehmer, ihre Zinslast zu drücken, indem sie auf eine bestimmte Zinsentwicklung spekulieren - zumeist eine steiler werdende Zinskurve. Dazu schließt die Kommune einen Vertrag mit einer Bank. Schätzen ihre Kassenwarte den Zinsverlauf richtig ein, senkt dies die Verbindlichkeit, irren sie jedoch, kann es erst recht teuer werden.

Selbst Landkreise fielen auf dieses Hütchenspiel der gehobenen Art herein, etwa der Kreis Mittelsachsen. Das Kreditgeschäft, das noch der Vorgängerlandkreis Mittweida mit der Sachsen LB einfädelte, beschert dem Landratsamt in Freiberg mittlerweile einen Verlust von 850 000 Euro. Dies resultiert aus Zusatzzinsen, die in den letzten Monaten rasant aufliefen. Dabei hatte man 2006 dank solch eines Swaps die Zinsen für ein Fünf-Millionen-Euro-Darlehen spürbar drücken wollen.

Anfangs gelang das ja auch. Doch nunmehr steckt manche sächsische Kommune bereits so tief im Schlamassel, dass die dafür Verantwortlichen wohl nicht mehr selbst die Entschuldung erleben werden. Es sei denn, sie klagen und haben Erfolg vor Gericht. Dies versucht Riesa, dies versucht Dippoldiswalde, das erwägt nun auch der Plauener Oberbürgermeister Ralf Oberdorfer (FDP) als Vorsitzender des Zweckverbands Wasser und Abwasser Vogtland. Denn der steht wegen einer Zinswette nun gar mit 61 Millionen Euro in der Kreide.

Wie Oberdorfer fühlen sich heute alle betroffenen Kommunalpolitiker durch die Banker »über den Tisch gezogen«. Adressat der Prozesswut ist stets die Landesband Baden-Württemberg (LBBW). Dabei geriet das Stuttgarter Institut eher etwas unglücklich ins Visier. Denn es übernahm Anfang 2008 durch einen Notkauf die fast insolvente Sachsen LB - und damit auch einen Großteil ihrer Geschäfte.

Als erster sucht nun der Landrat von Mittelsachsen, Volker Uhlig (CDU), die Offensive. Sein Hauptvorwurf zielt auf »nicht ausreichende Beratung«. Er will den Vertrag auflösen und eine Wiedergutmachung erstreiten. Der Termin am Landgericht Stuttgart verschob sich wiederholt, gestern sollte es losgehen. Uhlig wertet die Sache als eine Art Musterprozess. Hat er Erfolg, dürften weitere Kommunen und Unternehmen den Klageweg beschreiten oder auf eine außergerichtliche Einigung spekulieren.

Auch die Anwälte, die Sachsens Kommunen vertreten, wie der von Riesa engagierte Jochen Weck aus München, plädieren klar auf eine Mitschuld der Banken. Vor allem Landesbanken und Sparkassen droht nun eine Klagewelle, da sie womöglich das Vertrauen der Rathäuser allzu sehr in eigener Sache nutzten. Am Pranger steht pikanterweise auch die Kreissparkasse Mittelsachsen. Sie trägt eine Aktie daran, dass die einstige Kreisstadt Flöha wegen Zinswetten pleite ist. Ihrem Verwaltungsrat sitzt heute jener Landrat Uhlig vor, der nun in Stuttgart klagt. Betroffen von schief gelaufen Swaps sind auch kommunale GmbH wie die Leipziger Wasserwerke.

»Anlagegerecht beraten«

Bei den Landkreisen und Kommunen agierte man zumeist nicht aus Eigennutz sondern im Interesse des Stadtsäckels - und im guten Glauben an die Vertrauenswürdigkeit öffentlicher Geldhäuser. So betont denn auch der Pressesprecher der LBBW in Leipzig, Alexander Braun, sein Haus stehe mit den betroffenen Kommunen in Kontakt, um »gemeinsam Lösungen zu finden«. Zugleich verwahrt er sich gegen den Vorwurf, die Sachsen LB habe ihre Kunden dereinst bei Verträgen ohne Zinshöchstgrenze nicht über jenes Risiko aufgeklärt. Es sei stets »anlagegerecht beraten« worden, versichert Braun.

Ob das stimmt, mag von Fall zu Fall verschieden gewesen sein. Jedenfalls riet Sachsens Innenministerium nunmehr allen Städten und Landkreisen, Schadensersatzansprüche an Banken zu prüfen. Zudem will man in Kürze als erstes Bundesland in der Gemeindeordnung ein generelles Spekulationsverbot für solcherlei Finanzgeschäfte festschreiben.

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