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Mit dem Ruf der Sport-Ikone

Wie Boxer Witali Klitschko bei der EM in der Ukraine Wahlkampf betreibt

  • Ronny Blaschke, Kiew
  • Lesedauer: 6 Min.

In der Ukraine nutzt so mancher Spitzensportler seine Prominenz für den schnellen politischen Aufstieg. Profiboxweltmeister Witali Klitschko bringt sich und seine UDAR-Partei am Rande der Fußball-EM vor den internationalen Journalisten in Stellung für die Parlamentswahlen.

Wie ein Turm überragt Witali Klitschko die Journalistentraube unter dem Bogen der Völkerfreundschaft in Kiew. Fotoapparate klicken, Schaulustige pressen ihre Gesichter ans Absperrgitter. Klitschko ist ins Europäische Dorf gekommen, um Kinder über die Vorbeugung gegen HIV aufzuklären. Doch nun hat ein anderes Thema Vorrang: Wahlkampf. »Die Ukraine wird immer mehr zur Diktatur, die Regierung manipuliert Gesetze«, schimpft das Schwergewicht, Schweiß tropft von seiner Stirn. »Es gibt keine Jobs, 70 Prozent der jungen Menschen träumen davon, ins Ausland auszuwandern. Wir wollen diese Entwicklung stoppen.« Auch als Politiker spricht Klitschko wie ein Boxer: »Wir kämpfen, denn ohne Kampf gibt es keinen Sieg.«

Die Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine geht ihrem Ende zu, noch sind Journalisten aus aller Welt vor Ort, und so ist die Verlockung groß, Werbung zu machen: für sich selbst, sein Geschäft, seine Partei. Klitschko steht der Ukrainischen Demokratischen Allianz für Reformen (UDAR) vor. Zweimal hat er versucht, Bürgermeister von Kiew zu werden. Vergeblich. Doch seine Partei etabliert sich, hat 10 000 Mitglieder, davon 2000 Mitarbeiter. UDAR stellt vier Bürgermeister und 400 Abgeordnete in kommunalen Parlamenten. Im Oktober will Klitschko sie bei den Wahlen ins ukrainische Parlament führen. Und 2015 könnte er in den Präsidentenpalast einziehen, ukrainische Experten rechnen mit seiner Kandidatur.

Wer sich überwirft, kauft eine neue Partei

Unter dem Bogen der Völkerfreundschaft bittet ein Mädchen in Tracht um ein Foto mit Klitschko, eine Frau in schwarzem Kleid überreicht ihm ein Buch, ein Schauspieler flüstert dem 40-Jährigen ins Ohr. Währenddessen kreisen vier Kameramänner um Klitschko herum. Politik ist hier auch Personenkult. Inzwischen existieren rund 200 Parteien, viele wurden von schillernden Figuren gegründet, aus Wirtschaft, Kultur und Sport. »Parteien sind in der Ukraine nicht wertegebunden«, sagt Ursula Koch-Laugwitz von der Friedrich-Ebert-Stiftung, die seit 1993 in Kiew ein Büro unterhält. Die Parteien geben kaum Programme heraus, und wenn doch, unterscheiden sich diese marginal. »Eine Partei ist eine Organisation zum Fortkommen des jeweiligen Parteivorsitzenden. Und wenn man sich in der Spitze überwirft, gründet man halt eine neue Partei oder kauft sich eine andere.«

Das Vertrauen der Ukrainer in ihr Parteiensystem war selten so niedrig wie heute, auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International liegt das Land auf Platz 152, gemeinsam mit Tadschikistan. Laut Koch-Laugwitz werde die Arbeit Klitschkos als Gegenentwurf zur politischen Elite wahrgenommen: Klitschko wurde als Boxer im Westen reich, gilt als unabhängig gegenüber den Oligarchenclans. Er betont demokratische Werte, orientiert an der Europäischen Union. Sprachkulturell ist er russisch geprägt, hat also auch Zugang zu konservativen Schichten der Ukraine, die sich am Kreml ausrichten. Koch-Laugwitz: »Die Menschen wünschen sich frische Figuren. Klitschko könnte eine sein.«

Der Andrang auf dem Majdan, dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew, ist groß. Sergej Bubka hat wenige Meter weiter zu einem Pressegespräch in ein Schnellimbissrestaurant geladen. Bubka, erfolgreichster Stabhochspringer der Geschichte, leitet seit 2005 das Nationale Olympische Komitee der Ukraine. Auch er spricht lieber vor vielen Menschen - und über Fußball -, für die versprochenen Interviews unter vier Augen hat er dann plötzlich keine Zeit mehr. Bubka war zwischen 2002 und 2006 Parlamentsabgeordneter für die Partei der Regionen von Staatschef Viktor Janukowitsch.

Bubka ist gut vernetzt mit ukrainischen und russischen Oligarchen, Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees und Präsident einer Bank. Da verwundert es kaum, dass sein Vermögen auf 350 Millionen US-Dollar geschätzt wird. Er folgt dem typischen Weg eines Multifunktionärs, sein Ruf als Sport-Ikone verschafft ihm einen Bonus in der Bevölkerung. »Große Sportler bleiben für die Menschen immer große Sportler. Hinter dieser Fassade fallen ihre politischen Machtspiele weniger auf«, sagt Artem Frankow, Chefredakteur von »Futbol«, dem wichtigsten Fußballmagazin des Landes.

Frankow verweist auf den Oligarchen Grigori Surkis, einen langjährigen Spitzenpolitiker der Vereinigten Sozialdemokraten. 1993 hatte Surkis seinen Lieblingsverein Dynamo Kiew gekauft und meldete gleich alle Spieler als Mitglieder seiner Partei an. Inzwischen steht Surkis dem Ukrainischen Fußballverband vor und ist damit einer der wichtigsten Organisatoren der EM. Immer wieder buhlt Surkis, der 1999 erfolglos für das Bürgermeisteramt von Kiew kandidiert hatte, um Wahlkampfhilfe des ukrainischen Stürmers Andrej Schewtschenko oder des Nationaltrainers Oleg Blochin.

Es geht um die Nähe zur Macht

Blochin war selbst lange Abgeordneter im Parlament. Vor der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland hätte ihn ein neues Antikorruptionsgesetz fast das Traineramt gekostet, doch schon Wochen später entschied ein Richter, Blochin dürfe das Team weiter betreuen. »Blochin hat als Abgeordneter dreimal die Partei gewechselt«, sagt Journalist Frankow. »Es geht ihm um die Nähe zu mächtigen Leuten, nicht um politische Inhalte.«

Doch kein Sportler drängt so sehr an die Spitze wie Witali Klitschko. »Das ist mein Heimatland, meine Wurzeln sind hier«, sagt er unter dem Bogen der Völkerfreundschaft. »Meine Familie liebt dieses Land. Meine Mentalität ist ukrainisch, mein Herz schlägt hier.« Klitschko hatte als Boxer gelernt, seine Schlagkraft perfekt zu vermarkten, mit seinem jüngeren Bruder Wladimir führte er die Inszenierung einer dem Personenkult verschriebenen Sportart auf eine neue Stufe.

Auch in der Politik pflegt Klitschko Pathos, macht Stimmung gegen Präsident Janukowitsch und Oligarchen, warnt vor Aufständen wie in Ägypten oder Tunesien. Er beherrscht die politische Rhetorik, die Zuspitzung, das Nennen von Statistiken, die seine Empörung stützen. Er sei, wie die FAZ berichtet hat, von der Regierung als »gefährlich« eingestuft worden. Doch eigene Reformvorschläge erwähnt Klitschko selten. Das sei typisch, sagt Ursula Koch-Laugwitz: »Es hat sich bislang kein Wahlkampf durch tiefe Inhalte ausgezeichnet. Parteien sind für oder gegen etwas. Statt eigene Alternativen auszuarbeiten, empören sich Kritiker gemeinsam.«

Ob Klitschko im ukrainischen Wahlkampf hilft, dass er als Sportler die Demokratien Deutschlands und der USA kennengelernt hat? In einem Land, das erst seit knapp 20 Jahren unabhängig ist? In einem politischen Betrieb, in dem Nachwirkungen der zentralistisch geführten Sowjetunion spürbar sind? Klitschko reist herum, um zu lernen. Er traf US-Präsident Bill Clinton, auch Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, den langjährigen Chef der Eurogruppe. Zu Kanzlerin Angela Merkel hält Klitschko ebenfalls Kontakt, seine UDAR ist Schwesterpartei der CDU und wird von der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt.

Nach der Presserunde braucht Witali Klitschko fast 20 Minuten, um sich zu seinem schwarzen Wagen mit verdunkelten Scheiben vorzuarbeiten. Politische Fragen werden ihm von seinen Fans nicht gestellt, er gibt Autogramme, posiert für Fotos. »Das ist meine Pflicht, aber ich kann nicht überall sein«, sagt er zum Abschluss. Dann steigt er in den Wagen und fährt schnell zum nächsten Termin. Die EM ist schließlich bald vorbei.

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