Vertreibung aus den Wäldern
Das indigene Volk der Lenca in Honduras ist Opfer von Konzernen und kapitalistisch konzipiertem Umweltschutz
Doña Pasqualita beugt sich über ein tönernes Schälchen und zündet das darin enthaltene Baumharz an. Wie Weihrauch steigt eine dünne Rauchsäule in den Himmel. Die kleine Frau, deren Augen im faltigen Gesicht verschwinden, legt Maiskolben und Bohnen auf einen Altar aus Piniennadeln. Die versammelten Menschen frösteln in der Frische der Morgenstunde. Als Doña Pasqualita schließlich ihre klare hohe Stimme erhebt, bittet sie Göttervater Itanipuca und Göttermutter Ilanguipuca um Beistand. Gegen das REDD+, das internationale Umweltschutzorganisationen anpreisen und die Lenca-Gemeinden aus ihren Wäldern vertreibt.
Hinter dem Wortungetüm REDD+ verbirgt sich ein Instrument der sogenannten Grünen Ökonomie: Eine Reduktion von Treibhausgasen durch Erhalt und Nutzung von Primärwäldern sowie ihre Einbeziehung in den Emissionshandel. Indigene Organisationen bemängeln hingegen, dass REDD+ die Rechte und die enge Bindung der ursprünglichen Bevölkerung an die Wälder einschränke.
Sie gelten als »rückständig, dumm und aufmüpfig«
Pasquala Vázquez ist Mitglied des Ältestenrates, spirituelle Führerin der Lenca - und seit fast 20 Jahren Aktivistin. »Ich bin dafür verantwortlich, unsere Mutter Erde zu schützen, die Wälder, die Luft und die Flüsse. Wir treten nicht aus ideellen Gründen für den Erhalt der Natur ein, sondern weil wir existenziell von ihr abhängig sind«, erklärt sie milde und streicht sich eine graumelierte Strähne aus der Stirn.
Die indigenen Lenca kamen einst aus Südamerika, besiedelten Honduras und El Salvador. Ihre Sprache verloren sie unter kolonialer Herrschaft. Im Jahr 1985 zeichnete die franko-US-amerikanische Ethnologin Anne Chapman in ihrem Buch »Die Kinder von Copal und Candela« noch das Bild einer zerfallenden Kultur. »Damit will ich jedoch nicht ausschließen, dass sie eine Wiederbelebung erfahren könnte«, schrieb sie. Und sie behielt Recht. Mit dem weltweiten Kampf um indigene Rechte erstarkten auch in Honduras die rund 100 000 Angehörigen der Lenca-Gemeinden in ihrer Identität. Rund die Hälfte von ihnen sind heute im Zivilen Rat der indigenen und Volksorganisationen in Honduras (COPINH) organisiert.
»Im Jahr 1994 besetzten wir elf Tage lang den Kongress und kochten auf den Gängen mit Feuerholz Bohnen«, erzählt Bertha Cáceres von COPINH. Cáceres erhielt gerade den Eichstätter Shalompreis 2012 und weilte bis Ende Juni in Deutschland. Von der Arbeit ihrer Mutter geprägt, einer Hebamme in den Gemeinden im westlichen Bergland, ist sie heute die wohl bekannteste Lenca-Aktivistin in Honduras und gewählte Vorsitzende des Zivilen Rats. »Im Jahr 1995 ratifizierte die honduranische Regierung endlich das ILO-Abkommen 169 über Indigene Rechte.« Indigene Gemeinschaften prangern jedoch seitdem immer wieder sogenannte Entwicklungsprojekte an, bei denen sie weder in die Planung noch in Entscheidungen einbezogen werden.
Bertha Cáceres führt dies auch auf den allgemeinen Rassismus gegen die Angehörigen der Lenca zurück. »In Honduras werden wir wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Wir gelten als rückständig, dumm und aufmüpfig.« In Krankenhäusern, Schulen und Ämtern sei die Diskriminierung alltäglich zu spüren, besonders für Lenca-Frauen, die als solche häufig durch ihre buntkarierten Kopftücher erkennbar sind.
»Der Lenca-Feldherr Lempira, der den spanischen Kolonialherren einst mutig die Stirn bot, gilt zwar als Nationalheld. Die Gemeinschaft der Lenca wird jedoch auf ihre Töpferkunst und ihre Tänze reduziert. Eine touristisch zu vermarktende Folklore-Einlage.« Auch das neue Ministerium für die Entwicklung der Indigenen und Afrohonduranischen Völker und Antirassismuspolitik erfülle nur eine Feigenblattfunktion, beklagt die COPINH-Aktivistin.
Widerstand mit allen Tricks und Kniffen
Bertha startet ihren schlammverkrusteten Geländewagen. Ihre Fahrt führt sie über eine unbefestigte Landstraße durch die majestätischen Pinienwälder des honduranischen Bundesstaates Intibucá. Adler kreisen über den Wipfeln des dichten Baumbestandes, der nicht nur für die indigene Bevölkerung einen wertvollen Schatz darstellt.
»Wir haben im Laufe der Jahre über 30 Holzfirmen hinausgeworfen«, berichtet Bertha Cáceres. Nicht immer mit legalen Mitteln, gibt sie zu. Wie damals, als sie die Limousine eines Unternehmerpaares anzuzünden drohten. »In den Benzinkanistern war eigentlich nur Wasser, aber sie haben es uns abgenommen.« Ein verschmitztes Grinsen zieht sich über das runde Gesicht unter schwarzen Locken, doch die Mutter von drei erwachsenen Kindern wird schnell wieder ernst.
»Als ich ein Kind war, wuchs ich in der Gewissheit auf, dass das Land uns allen gehöre. Doch mit der Zeit wurde es vermessen und eingezäunt«, erinnert sie sich. »Auf einmal durften die Lenca nicht mehr in den Wald, um zu jagen und Feuerholz zu sammeln. Stattdessen kamen Holzgesellschaften mit schweren Gerätschaften und errichteten Zeltstädte, um in Tag- und Nachtschichten Bäume zu fällen.« Erst vor zehn Jahren gelang es den indigenen Gemeinden, kommunale Landtitel zu erwerben.
»Doch seit dem Putsch ist eine neue Repressionswelle über uns hereingebrochen. Unsere Aktivisten werden von Todesschwadronen bedroht und sieben sind gewaltsam zu Tode gekommen.« Gerade erst wurden zwei COPINH-Mitglieder mit Pistolen attackiert. Die Frequenz der politischen Morde ist unter der sogenannten »Regierung der Versöhnung« von Porfirio Lobo mittlerweile höher als direkt nach dem Staatsstreich im Juni 2009.
»Und wir haben einflussreiche Feinde - die größten honduranischen Energiekonzerne und ihre internationalen Geschäftspartner. Der Bau von Wirtschaftsenklaven, Staudammprojekte und eben auch die Kommerzialisierung der Wälder sind darüber hinaus zum offiziellen Regierungsprogramm erklärt geworden.« Sie bedeuteten eine permanente Bedrohung der indigenen Minderheiten im Land, sagt Bertha Cáceres.
So prangerte die Konföderation der Indigenen Völker von Honduras (CONPAH) Anfang des Jahres in einem offenen Brief die Kooperation zwischen der Wald-Kohlenstoffpartnerschaft der Weltbank und dem honduranischen Ministerium für Natürliche Ressourcen und Umwelt an. Bei der Einführung des REDD+ Mechanismus in Honduras habe es keine »freie, vorherige und informierte Zustimmung« der indigenen Gemeinden gegeben, wie dies die ILO-Konvention 169 vorschreibt. Das Ministerium habe Anwesenheitslisten von Informationsveranstaltungen über REDD+ widerrechtlich als Zustimmungsbelege der anwesenden Basisorganisationen genommen.
»Sie verwandeln die Natur in eine Ware«
Deutschland hat der Wald-Kohlenstoffpartnerschaft der Weltbank 57 Millionen Euro zugesagt, von denen seit 2007 etwa 60 Prozent geflossen sind. Am 1. Juli 2012 beginnt auch die Kooperation zwischen der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und der Karibik. Dabei sollen Strukturreformen gegen den Klimawandel in den mittelamerikanischen Ländern entwickelt werden.
Im Rückblick auf die bisherige Zusammenarbeit hinsichtlich Nachhaltigkeit und sozialer Gleichheit merken die beteiligten Institutionen jedoch kritisch an, dass bei der Durchsetzung von REDD und REDD+ »die Integration der indigenen Völker und lokalen Gemeinden eine große Herausforderung darstellt«.
Das sieht die Konföderation der Indigenen Völker von Honduras ähnlich. Ihren offenen Brief beschließt die klare Forderung, »GIZ, Rainforest Alliance, USAID, UNDP und andere bi- und multilaterale Institutionen« mögen »alle Aktivitäten und Finanzmittel hinsichtlich der Anwendung des REDD auf indigene und afro-honduranische Territorien zurückziehen«.
»Wenn wir aus unseren Wäldern vertrieben werden, dann hat das Armut, Auswanderung und den Verlust unserer kulturellen Identität zur Folge«, sagt Tomas Gómez, der jüngst als Delegierter der Lenca beim Alternativgipfel in Rio war. Von den Regierungsvertretern auf dem offiziellen Gipfel hält er nichts. »Sie verwandeln die Natur in eine Ware und setzen Preise dafür fest. Doch was soll die Mutter Erde wert sein? Wer könnte ohne sie leben?«, fragt Gómez.
Eine Antwort blieb der Rio-Gipfel wieder einmal schuldig.
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