Polens Premier Tusk: »Wir haben es geschafft«
Rückkehr in die politische »Normalität«
Erneut entflammte der weltanschauliche Streit um die künstliche Befruchtung im Reagenzglas und um gesetzliche Garantien für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Der Druck der Kirchenfürsten auf die Abgeordneten sowohl der Regierungs- wie der Oppositionsparteien hat sich enorm verstärkt. Für den Vorsitzenden der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Jozef Michalik, und seine Amtsbrüder ist die künstliche Befruchtung »eine raffinierte Methode der Abtreibung«, die den »Tod unzähliger Schwestern und Brüder« zur Folge habe. Dem »Treiben von Atheisten und Freimauern, die die Kirche attackieren«, müsse Paroli geboten werden, rief Michalik. Er ist selbst in Nöten: Unter seiner Führung sank die Zahl der Sonntagsmessebesucher seit 2005 auf 40 Prozent.
Auf Michaliks Ruf reagierte prompt der Parteichef von Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski. Als rechter Oppositionsführer ließ er dem Parlament eine Gesetzvorlage zuleiten, in der für den ärztlichen »Eingriff in die Natur« eine Strafe bis zu drei Jahren Gefängnis gefordert wird. Der ehemalige PiS-Gesundheitsminister Boleslaw Piecha sagte, seine auf christlichen Werten basierende Moral schließe eine Befruchtung außerhalb des Körpers absolut aus. Die Tatsache, dass in Polen in den vergangenen 25 Jahren bis zu 80 000 Kinder auf diese Weise geboren wurden, beeindrucke ihn nicht im geringsten.
Auch in der regierenden Bürgerplattform (PO), die sich »an und für sich« weltanschaulich fortschrittlich darstellt, gibt es viele Anhänger des erzkonservativen Justizministers Jaroslaw Gowin, die ebenfalls die In-vitro-Befruchtung ablehnen.
Völlig einig sind sich Abgeordnete von PiS und PO in der Verweigerung gesetzlicher Garantien für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Unter Berufung auf Artikel 18 der Verfassung, der die Ehe von Mann und Frau in Schutz nimmt, wurde die Vorbereitung eines entsprechenden Gesetzes vom zuständigen Sejmausschuss als unzulässig bewertet.
Die Verfassung musste auch für eine Verschärfung des Versammlungsrechts herhalten. Auf Initiative von Staatspräsident Bronislaw Komorowski verabschiedete der Sejm am Freitag trotz eines Protestbriefs von 32 Nichtregierungsorganisationen ein Gesetz, das - wie die »Gazeta Wyborcza« schrieb - »die Freiheit des Versammlungsverbots« erweitert. Jetzt müssen Demonstrationen nicht drei, sondern sechs Tage vorher angemeldet werden. Der Anmelder kann für Vergehen von Teilnehmern mit einem Ordnungsgeld bis zu 7000 Zloty (knapp 2000 Euro) belegt werden, wenn er nicht angemessen auf die Verstöße reagiert hat. Behörden dürfen gleichzeitige Demonstrationen am selben Ort untersagen. Sicherheit hat Vorrang vor Freiheit.
Die Medien feiern indes das durch die Fußball-EM gewaltig gewachsene Ansehen des Landes. Das Lob ausländischer Fans für Organisation und Gastfreundschaft erfülle Polen mit patriotischem Stolz, betont auch Premier Donald Tusk: »Wir haben es geschafft.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.