China kurbelt Binnenmarkt an

Privatkonsum soll durch Steuersenkungen und Einkommenssteigerungen erhöht werden

  • Werner Birnstiel
  • Lesedauer: 3 Min.
Laut chinesischen Ökonomen kaufen die Verbraucher im größten Land der Welt nicht genug, das schadet der Wirtschaft. Strukturelle Reformen sollen das nun ändern.

Gegenwärtig registrieren Chinas Ökonomen, dass sich die einheimischen Verbraucher beim Konsum zurückhalten, obwohl gerade ein steigender einheimischer Verbrauch wichtig für das Wirtschaftswachstum ist. Umfragewerte zwischen April und Juni unter Kunden der Bank of China besagen demnach, dass 53,2 Prozent der Befragten die Zukunftsaussichten zwar positiv einschätzen, dieser Wert liegt aber um 1,7 Prozent unter dem des ersten Quartals 2012. Er markiert damit den niedrigsten Stand seit 1999, als die Befragung das erste Mal durchgeführt wurde. Andererseits wurden im Einzelhandel im Mai Waren im Wert von umgerechnet über 260 Milliarden US-Dollar umgesetzt. Der Anstieg betrug damit 13,8 Prozent im Vergleich zum Mai 2011, dieser sei jedoch der schwächste Monat 2011 gewesen, so die Ökonomen. Sie regen daher an, Steuern zu senken, um das Einkommen zu erhöhen und so Konsumanreize zu geben.

Als noch wichtiger wird aber eingeschätzt, die Einkommen der Arbeitnehmer in Niedriglohnbereichen deutlich spürbar zu steigern. Dazu sollen die riesigen Einkommensunterschiede zwischen Beschäftigten in der Privatwirtschaft und Kollegen in vergleichbaren staatseigenen Unternehmen schrittweise beseitigt werden. So verdient beispielsweise ein Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft pro Jahr 24556 Yuan (ca. 3070 Euro), in staatseigenen Firmen hingegen 42452. Deshalb sollen nun Wirtschaftszweige für Privatunternehmen geöffnet werden, auf die bislang staatliche Firmen Monopole haben. Das werde Einkommensunterschiede verringern und die Staatsfirmen zwingen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, so die Ökonomen. Chinesisch verklausuliert wird hier de facto gefordert, den Mittelstand gezielt zu fördern.

Allerdings sind die Herausforderungen komplexer als zunächst sichtbar: So ist die »Urbanisierung« eines der zentralen Themen des 12. Fünfjahrplanes (2011 bis 2015). Seit dem Jahr 2000 sind über 100 Millionen Menschen vom Land in die Städte oder städtische Gebiete umgesiedelt. Gegenwärtig gibt es etwa 715 Millionen Landbewohner, bis 2030 werden etwa 350 Millionen von ihnen in die Städte umziehen. Der Haken: Es gibt derzeit nicht genügend Wohnraum und auch die städtische Infrastruktur ist für diese Massen nicht ausgerichtet.

Partei und Regierung sind deshalb dazu übergegangen, den sozialen Wohnungsbau zu fördern, denn nur wenige können sich eine Eigentumswohnung leisten. So werden bis 2015 über 36 Millionen Wohnungen für Familien mit geringem Einkommen gebaut. Zugleich entstehen genossenschaftliche Strukturen, die mit denen in Deutschland vergleichbar sind. Diese Entwicklung führt wiederum zu weitreichenden Strukturentwicklungen in Architektur und städtischem Design, in der Bauindustrie und der Inneneinrichtungsbranche, bei der Energieversorgung, dem Wassermanagement, dem Umweltschutz, der medizinischen Versorgung sowie von Bildungs- und Kultureinrichtungen. Dabei ist zunehmend Qualität gefragt, denn gegenwärtig verfallen Neubauten teilweise bereits nach wenigen Jahren wieder, weil beim Bau gepfuscht wurde.

Marktwirtschaft also ja, politisch aber wird dieser Prozess von Peking makroökonomisch gesteuert und damit letztlich auch kontrolliert. Damit soll die Belebung des Binnenmarktes parallel zu kurzfristigen Maßnahmen auf strategische Ziele ausgerichtet und eine stabile Entwicklung organisiert werden.

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