Blaue Stunden im »Spitzen Gebel«
In Bremen darf in den meisten Kneipen noch gequalmt werden - ein Streifzug
Bremen. Überall um Melanie Zürtz und ihre Freundin qualmt es. Beide halten eine brennende Zigarette in der Hand, vor ihnen stehen Bier und Aschenbecher. Die großen Fenster sind weit geöffnet, trotzdem hängen Rauchschwaden in der Luft. Doch im »Litfass« stört das keinen - eher im Gegenteil. Am Wochenende und nach Feierabend drängt sich das Bremer Szenepublikum in der Raucherbar.
Dass Klamotten und Haare am nächsten Tag stinken, nehmen die jungen Frauen in Kauf. »Ich gehe einfach lieber in Raucherkneipen«, sagt Zürtz. Draußen auf der Straße findet sie es zu ungemütlich, und die Nachbarn schauen einen schon mal krumm an. Doch meistens kommt sie gar nicht in die Verlegenheit: Einer Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums zufolge dürfen die Gäste in den meisten Bremer Bars und Kneipen noch ungestört quarzen.
Loch in der Speisekarte
Knapp 400 Gaststätten hatten die Experten in der Innenstadt unter die Lupe genommen. Mehr als 40 Prozent waren entweder Raucherlokale oder hatten einen separaten Raucherraum. Bei den rund 100 untersuchten Bars und Kneipen kamen sie sogar auf 94 Prozent. Nach dem bremischen Nichtraucherschutzgesetz ist der blaue Dunst seit 2008 nur noch in Ein-Raum-Lokalen unter 75 Quadratmetern und abgetrennten Räumen erlaubt - ein entsprechender Hinweis ist Pflicht.
Am »Litfass« prangt seither ein »Raucherkneipen«-Schild. Und auf der Speisekarte ein großes Loch. »Wir haben eigentlich das beste Frühstück der Stadt gehabt«, sagt Pächter Norbert Schütz. Doch eines Tages stand das Stadtamt auf der Matte und stellte ihn vor die Wahl: entweder Rauchen oder Essen. Die Entscheidung war schnell gefällt. »Essen ist nicht unser Kerngeschäft - war es noch nie.« Dafür drücken die Kellner jetzt ein Auge zu, wenn Gäste an den Tischen draußen einen mitgebrachten Döner verzehren.
»Rauchen und Trinken macht die beste Kasse«, meint auch Martina Prawitt, die Wirtin des »Spitzen Gebel«. Früher wehte Frikadellenduft durch das winzige Lokal hinter dem Marktplatz, heute ist es nur noch Zigarettenluft. Einer gut gelaunten Gruppe in der Ecke reicht das nicht. »Die wollen gerade weggehen, weil es hier nichts gibt«, sagt Prawitt achselzuckend. Doch eigentlich kann sie sich nicht beklagen. Die Stammkundschaft ist ihr bisher nicht davongelaufen.
»Die meisten Raucher sind sehr flexibel geworden«, erzählt Christine Wilkens, die seit 20 Jahren ihr Feierabend-Bier im »Spitzen Gebel« trinkt. Natürlich mit Kippe. Aber hauptsächlich kommt sie wegen der Atmosphäre. In dem urigen Lokal kennt man sich, redet über Gott und die Welt, ist gleich per Du. »Raucher sind einfach geselliger«, findet Wilkens.
Auch die Wirte haben sich inzwischen mit dem Gesetz anrangiert. Die Kontrolleure vom Stadtamt mussten im vergangenen Jahr in 16 Fällen Bußgelder verhängen.
Weniger Beschwerden
»Die meisten Wirte sind aber einsichtig«, sagt Werner Pontow vom Gewerbeaußendienst. Bei seinen Routinebesuchen überprüft er auch die Einhaltung des Rauchverbots - oder er fährt bei Beschwerden raus. »Die sind aber weniger geworden.« Von Januar bis Mai gingen gerade mal zwei beim Stadtamt ein.
Tobias Neumann ist an diesem Abend einer der wenigen Nichtraucher im »Litfass«. An vielen Abenden ist die Luft dort zum Schneiden. »Im Augenblick ist es noch erträglich«, sagt der Student tapfer. »Leider wird in den Bars, wo Stimmung ist, fast immer geraucht.« Aber er will sich nicht beschweren: Schließlich ist er freiwillig hier.
Jeder zweite Raucher befürwortet inzwischen, dass in Gaststätten nicht mehr geraucht werden darf. 51 Prozent von ihnen stehen der rauchfreien Gastronomie positiv gegenüber, wie eine in Heidelberg veröffentlichte Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung im Auftrag des Deutschen Krebsforschungszentrums ergab. Insgesamt sprechen sich 77,5 Prozent der Deutschen für ein Rauchverbot aus. Vor Inkrafttreten der Nichtraucherschutzgesetze 2005 hatte dieser Wert noch bei 53 Prozent gelegen. Hohe Zustimmung genießt das Qualmverbot bei Nichtrauchern (93 Prozent), ehemaligen Rauchern (87 Prozent) und Gelegenheitsrauchern (71 Prozent). Für Martina Pötschke-Langer vom Krebsforschungszentrum sind die Umfrageergebnisse eine Unterstützung im Kampf für eine bundesweit flächendeckende Einführung der rauchfreien Gastronomie. Umfassenden Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens gebe es bislang nur in Bayern und im Saarland. (epd/nd)
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