Ende eines Possenspiels
Sachsen-Anhalt hat neue MfS-Landesbeauftragte
Kurz nachdem das Oberverwaltungsgericht Magdeburg den Weg für ihre Wahl freigemacht hatte, ist die Merseburger Pastorin Birgit Neumann-Becker gestern zur Landesbeauftragten für die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit in Sachsen-Anhalt gewählt worden. Die 48-jährige Kreisschulpfarrerin erhielt bei der Abstimmung im Landtag im ersten Wahlgang die Stimmen von 69 Abgeordneten und damit eine mehr als erforderlich. Ihre Wahl hatten die Koalitionsfraktionen von CDU und SPD befürwortet, außerdem auch die Grünen, deren Parteibuch Neumann-Becker besitzt.
Die LINKE hatte vorab angekündigt, die Kandidatin nicht wählen zu wollen. Sie verwies unter anderem auf deren »eindeutige Distanzierung« von einer Initiative zur Versöhnung, die Ilse Junkermann, die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, gestartet hatte. Die Initiative plädiert für Versöhnung auch mit jenen, »die uns einst bespitzelt und verraten haben«. Diese dürften nicht dauerhaft in Schubladen gesteckt werden: »Mit Menschen in Schubladen lässt sich nicht reden und nicht Gesellschaft bauen.«
Geschätzter Vize-Chef
Christoph Koch, der ebenfalls auf der Kandidatenliste stand und für den 19 Abgeordnete votierten, hat dagegen offenkundig Stimmen der LINKEN erhalten. Der ehemalige CDU-Politiker ist seit langem Vizechef der Stasiunterlagenbehörde und wird in dem Amt geschätzt.
Einen direkten Vorgesetzten hatte Koch schon lange nicht mehr. Im Juni 2010 hatte Wolfgang Böhmer, damals CDU-Regierungschef, seinen Parteifreund Gerhard Ruden entlassen. Vorangegangen waren Veröffentlichungen, wonach dieser in einem Stasiverhör 1968 einen Schulfreund angeschwärzt hatte, sowie ein denkwürdiges Interview. Dort ließ sich Ruden zu der Einschätzung hinreißen, wer in der DDR verhaftet wurde, sei daran selbst Schuld gewesen. Er schien zunächst erkannt zu haben, dass solche Äußerungen für den Chef einer Behörde zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte nicht opportun sind: Im April 2010 legte er sein Amt nieder. Es folgte aber der Rücktritt von seinem Rücktritt. Die bundesweit beachtete Posse endete erst, als Böhmer die Reißleine zog.
Dem Ansehen des Landes war freilich auch die Fortsetzung nicht zuträglich. Die SPD wollte ihren einstigen EU-Abgeordneten und Verkehrsexperten Ulrich Stockmann in das Amt hieven, der sein Mandat in Brüssel verloren hatte. In der CDU stieß das indes auf verhaltene Begeisterung; im Landtag erhielt Stockmann im November 2010 erst im zweiten Wahlgang die nötige Mehrheit. Die Union und anfangs auch die SPD-Justizministerin hatten einen anderen Bewerber für geeigneter gehalten.
Geschönte Beurteilung
Das Amt antreten konnte Stockmann indes nie. Zwei unterlegene Bewerber zogen vor Gericht. Zwischenzeitlich waren hanebüchene Details aus dem Bewerbungsverfahren publik geworden, etwa eine angeblich geschönte Beurteilung Stockmanns. Das Verwaltungsgericht Halle gab einer Klage statt, höhere Instanzen wurden angerufen. Die Lage war festgefahren. Im November 2011 verzichtete Stockmann auf das Amt.
Um eine erneutes Debakel zu vermeiden, fand die Wahl jetzt unter veränderten Bedingungen statt: Dank einer Gesetzesänderung gibt es keine Auswahl durch die Regierung mehr; Interessenten bewerben sich beim Landtag. Folge war ein Stimmzettel mit 41 Namen. Außer Neumann-Becker und Koch erhielten noch drei Kandidaten je eine Stimme. Zwei Bewerber waren vorab ausgeschlossen worden, weil sie nicht wie gefordert mindestens 35 Jahre alt sind. Ein nicht berücksichtigter Interessent versuchte, die Wahl per Eilantrag zu verhindern. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Magdeburg fiel dann nur Minuten, bevor die Wahl im Landtag beginnen sollte.
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