Ein Herz für altes Gemüse
EU-Gerichtshof schränkt Macht der Saatgutkonzerne ein
Der Markt für Saatgut ist unter wenigen Konzernen aufgeteilt. Bauern, die alte Sorten säen oder weitergeben wollten, konnten sich auf einen Ausnahmetatbestand in einer EU-Richtlinie berufen. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) stärkt nun diese Position.
Mit diesem Urteil dürfte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vielen Bauern, vor allem Biolandwirten, das Leben erleichtern. Viele von ihnen bauen nämlich noch alte Sorten an, die aus der Zeit vor dem modernen Sortenrecht mit seinen amtlichen Zulassungen stammen. So hatte das in Frankreich entstandene bäuerliche Netzwerk Kokopelli Saatgut von mehr als 461 Sorten im Angebot, die nicht in offiziellen Sortenkatalogen eingetragen waren. Der industrielle Saatguthersteller Graines Baumaux hatte das Netzwerk wegen unlauteren Wettbewerbs auf Schadenersatz und ein Vermarktungsverbot dieser Sorten verklagt. Das Unternehmen versuchte vor dem Gericht damit zugleich, einen Passus in der EU-Richtlinie zu Gemüsesaatgut zu Fall zu bringen, der Ausnahmen für Sorten vorsieht, die vom Aussterben bedroht sind (sogenannte Landsorten) und auch ohne Zertifikat gezüchtet und verbreitet werden dürfen. Die Richter wiesen die Klage mit der Begründung ab, dass die Ausnahmeregelung die wirtschaftlichen Interessen aller Marktteilnehmer ausreichend berücksichtigt. Zugleich verwiesen sie auf die Absicht der EU-Gesetzgeber, auf diese Weise die Vielfalt pflanzengenetischer Ressourcen zu erhalten.
Bei den Bauernverbänden und den Grünen stieß das Urteil überwiegend auf positive Reaktionen. Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, und die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion Renate Künast nannten das Urteil einen »Sieg für die Artenvielfalt«. Baringdorf sprach im »Deutschlandradio Kultur« von einem Erfolg für kleine Bauern und Saatgutfirmen.
Andreas Riekeberg von der »Saatgutkampagne« hingegen kritisierte das Urteil als »ärgerlich und wirklichkeitsfremd«, weil es der grundlegenden Kritik am EU-Sortenrecht von Seiten der Generalanwältin Kokott nicht gefolgt sei. »Das Urteil schreibt die Begünstigung der Saatgutindustrie und ihrer industriellen Pflanzensorten fort«, meinte er. Denn der Kern des Sortenrechts blieb unangetastet: Das Vermarktungsverbot für nicht offiziell zugelassene Sorten gilt im Prinzip weiter. Überdies wurde die Ausnahmerichtlinie noch nicht vollständig in nationales Recht umgesetzt.
Da kann es kaum verwundern, dass der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) mit dem Urteil zufrieden ist. Laut BDP schützt das Urteil Landwirte und Verbraucher. Es stelle sicher, dass weiter nur qualitativ hochwertige und gute Sorten auf den Markt kämen, sagte BDP-Geschäftsführer Carl-Stephan Schäfer. Zu gut deutsch: Die Hochleistungssorten der industriellen Landwirtschaft bleiben erste Wahl für die EU-Landwirtschaftspolitik.
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