Sonnenblumen für Bauernhöfe

Die polnische Wojewodschaft Malopolskie - ein glückliches Land, wo es Kräuter, Milch und Honig gibt

Andrzej Mikolajewicz in seinem Kräutergarten in Czorsztyn
Andrzej Mikolajewicz in seinem Kräutergarten in Czorsztyn

Ein »Donnerschlag« begrüßt die Gäste in den Bergen bei Frau Akiko. Nein, kein heftiges Gewitter, »nur« ein kleiner Hund, der seiner Belllautstärke seinen Namen verdankt. Frau Akiko bindet das aufgeregte Tier an einem Baum fest, man weiß ja nie ...

Vor 23 Jahren verschlug das Schicksal oder der Zufall die gebürtige Japanerin, die längst eine »Goralka« - eine polnische Bergbäuerin - ist, in den kleinen Ort Harklowa in der Wojewodschaft Malopolskie (Kleinpolen). »Jeder sucht seinen Ort auf der Welt. Als ich diesen Platz hier das erste Mal sah, war mein erster Gedanke: Hier bleibe ich, und hier ist mein Grab«, sagte die Hausherrin und Besitzerin der Villa Akiko. Auch zwei ihrer drei Kinder haben in Polen eine neue Heimat gefunden.

Vom Ortskern hoch zu ihrer Herberge sind es noch drei Kilometer beschwerlichen Weges, doch Frau Akiko, längst polnische Staatsbürgerin, holt jeden Urlauber gern mit ihrem Jeep unten ab. Frau Akikos Villa liegt an der Kräuterroute. Oder besser am Weg des »Nach Kräutern duftenden kleinpolnischen Dorfs«, wie Bozena Srebro, die Erfinderin der Route, erzählt. Sie besteht aus 20 Ferienbauernhöfen. Hier treffen Tradition und Moderne aufeinander: Kräuter als kulinarische Kostbarkeit, als Heilmittel, aber auch verbunden mit Wellnessangeboten. Wobei das Wort Bauernhof das Anwesen von Frau Akiko nicht ganz trifft. Der Kräutergarten ist eher klein, das Gelände bergig. Katze, Hund und zahlreiche Hühner bilden einen Kleintierzoo.

Die Themenroute rund um die Kräuter will Naturfreunde, Erholungsuchende und Liebhaber regionaler Küche genauso ansprechen wie die jenigen, denen der Sinn mehr nach sportlicher Aktivität steht. Jeder Bauernhof muss eine besondere Atmosphäre bieten und Übernachtungsmöglichkeiten haben. Die Hotels bekommen bei guter Qualität Sterne, die Bauernhöfe Sonnen. In ganz Polen gibt es rund 600 Bauernhöfe mit dieser sonnigen Auszeichnung, davon sind 217 in der Wojewodschaft Kleinpolen. Die ist, so Bozena Srebro, ein besonderes Fleckchen Erde: mit schöner Landschaft, reichem Kulturerbe und sehr gastfreundlichen Bewohnern. Neben der Kräuterroute gibt es die Route »Das kleinpolnische Dorf für Kinder« und »Kleinpolen - Land des Honigs«. »Wenn man Honig und Milch hat, ist man ein glückliches Land«, ist Bozena überzeugt.

Bei Akiko Miwa sind diejenigen sicher glücklich und goldrichtig, die sich gern in die Einsamkeit zurückziehen. Ihr Kräutergarten ist eher klein, aber dafür sehr exotisch. Sie züchtet hier zum großen Teil traditionelle japanische Gewürz- und Heilpflanzen. So finden sich zum Beispiel die japanischen Speisechrysanthemen - Akikos Lieblingskraut - und die Kronenwucherblume auch auf der Speisekarte wieder. Nach Wunsch verwöhnt sie ihre Gäste mit Speisen aus Fernost. Frau Akiko bringt ihrer polnischen Heimat aber auch die alte japanische Heimat nahe und lädt regelmäßig japanische Tanzensembles ein, die dann gemeinsam mit polnischen Kindern auftreten.

Dort, wo heute die »Villa Akiko« steht, war schlicht und einfach nichts, ein Stück Erde, nur mit dem Pferd erreichbar. Entdeckt hat sie das Fleckchen von oben, beim Bergwandern. Sie wollte am Anfang nur ein ganz kleines Haus bauen, es wurde größer und größer. Manchmal, wenn etwas schief ging, war sie ziemlich verzweifelt. Doch ihr Motto: »Was mich nicht tötet, wird mich stärken« half ihr schon über so viele Widrigkeiten des Lebens hinweg. »Die Polen sind gut, wenn andere ein Problem haben, helfen sie gern, lässt die kleine, zierliche Frau, der man die 68 Jahre nicht im Traum ansieht, nichts auf ihre »Landsleute« kommen. Welches Kraut hält so jung? »Die Arbeit«, lächelt sie.

Tierisch geht es auch in Iwkowa zu. Esel Eduard wartet auf Streicheleinheiten. Das erst 20 Stunden alte Fohlen steht auf recht wackligen Beinen. Es ist noch namenlos. Die Berghütte »Weißer Hirsch« ist ein Paradies für Kinder. Die 51-jährige Lucyna Szot pachtete vor 20 Jahren eine Herberge mit fünf Zimmern. Inzwischen sind es mehrere Dutzend. Ihr Mann fand damals das Anwesen, als er sich bei der Jagd verlief.

Wissbegierige sind bei Andrzej und Barbara Mikolajewicz in der Villa »Jasna« in Czorsztyn richtig. Eigentlich ist das ja kein Bauernhof. Doch der riesige Kräutergarten hinter der Villa mit den zwölf liebevoll und sehr individuell eingerichteten Gästezimmern ist eine »Lehrstube«. Nicht die Zimmer mit Blick auf die Tatra sind die beliebtesten, nein, es sind die mit dem Blick auf den riesigen Kräutergarten. Andrzej kennt nicht nur alle Kräuter beim Namen, er weiß auch, wozu jedes nützlich ist. Oder auch nicht. Salbei aus Mexiko zum Beispiel macht in zu großen Mengen drogensüchtig. Bórago (Borretsch), weiß Andrzej, wurde früher den Soldaten zum Wein gegeben. Das Gewürz sollte ihnen Mut machen, denn es fördert die Ausschüttung von Adrenalin.

Den Garten hat Andrzej von Anfang an als Forschungs- und Lehrgarten betrachtet. Der 68-Jährige ist Agrarwissenschaftler, seine Frau studierte Gartenbau - beste Voraussetzungen für ihre »Rentnerbeschäftigung«. »Die meisten Menschen haben keine Vorstellung davon, wie die Kräuter in natürlichem Zustand aussehen«, ist Andrzej überzeugt. Da will er ein bisschen gegensteuern. Keine Frage bleibt unbeantwortet. Die größte Katastrophe sei die Entwicklung der modernen Chemie, ist Andrzej überzeugt. »Sie hat zur Verringerung des Wissens über die Kräuter beigetragen. So wie das Mittelalter, als viele, die sich für Kräuter interessierten, als Hexen verbrannt wurden.« Unschätzbare und überraschende Erkenntnisse über Kräuter als Heilmittel, Gewürz oder Gift vermittelt er. »Mit Kräutern ist es ähnlich wie mit Alkohol, man darf nicht übertreiben«, meint Andrzej. Und lädt seine Gäste zu einem Gläschen selbstgemachten Aronia-Kräuterlikör ein. Zum Wohl!

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