Berlin bastelt ein Gesetz
Nach dem Urteil über Beschneidungen ergreift die Koalition nun die Initiative
Berlin (dpa/nd). Drei Wochen nach dem umstrittenen Kölner Beschneidungsurteil will der Bundestag ein Signal für die freie Religionsausübung setzen. Im Rahmen der Euro-Sondersitzung soll heute eine fraktionsübergreifende Resolution beschlossen werden, in der sich die Parlamentarier dafür stark machen, die religiöse Beschneidung von Jungen in Deutschland zuzulassen.
In dem Antragsentwurf, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt, heißt es, dass eine »medizinisch fachgerechte Beschneidung« ohne unnötige Schmerzen bei männlichen Kindern grundsätzlich zulässig sein soll. Zudem wird die Bundesregierung aufgefordert, noch im Herbst einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Der endgültige Resolutionstext war bis zum späten Mittwochnachmittag aber noch nicht fertig.
Das Bundesjustizministerium äußerte jedoch bereits Zweifel, ob ein solcher Gesetzentwurf tatsächlich bis zum Herbst fertig wird. »Ich kann Ihnen keinen konkreten Zeitplan sagen«, räumte eine Ministeriumssprecherin ein. Ziel sei der Herbst, aber wegen der schwierigen Materie könne sie keinen genauen Termin nennen. Klar sei allerdings, »dass das nicht auf die lange Bank geschoben werden darf«. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert versicherte: »Die Bundesregierung wird alles tun, um eine zügige Lösung möglich zu machen.«
Die oppositionelle SPD machte sich ebenfalls noch einmal für eine rechtliche Klarstellung stark. Jüdische und muslimische Riten seien ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Christine Lambrecht. »Das Grundgesetz garantiert das Recht auf freie Religionsausübung und macht keinen Unterschied zwischen den Glaubensgemeinschaften.« Die Beschneidung von Jungen sei jedoch von der sittenwidrigen Genitalverstümmelung bei Mädchen abzugrenzen.
Während der Bundestag in einer breiten Allianz von Union, FDP, SPD und Grüne nach einer schnellen Lösung sucht, um eine Rechtssicherheit für Beschneidungen wieder herzustellen, meldeten sich gestern ebenfalls mahnende Stimmen zu Wort: Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) positionierte sich gegen ein religiös motiviertes Abtrennen der Vorhaut bei Jungen. »Die Befürworter der Beschneidung bagatellisieren diese Form der Körperverletzung, bei der es auch zu lebenslangen körperlichen und vor allem seelischen Verletzungen kommen kann«, sagte BVKJ-Präsident Wolfram Hartmann. Er folgt der Argumentation der Kölner Richter: Gerade bei minderjährigen Kindern sei das grundgesetzlich verankerte Recht auf körperliche Unversehrtheit höher zu bewerten als die Religionsfreiheit.
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