Ist Dabeisein noch alles?
Erfolgreiche Sportler der Vergangenheit und Gegenwart diskutieren olympische und paralympische Entwicklungen
nd: Nur noch wenige Tage bis zum Start der Spiele in London. Steigt die Nervosität oder fällt sie ab, da das Ziel vor Augen ist?
Subschinski:
Ich freue mich auf die Spiele. Ich habe das ganze Jahr hart daraufhin
trainiert. Da will man, dass es endlich losgeht.
2011 errangen Sie WM-Bronze im Synchronspringen vom 10-Meter-Turm. Ist nun die erste olympische Medaille greifbar?
Wir hoffen, dass sie drin ist. 2008 sind wir knapp dran vorbeigeschrammt. Das war sehr bitter.
Herr Iwanow, vor ein paar Monaten wünschten Sie sich, gesund zu bleiben
und in London wieder oben auf dem Treppchen zu stehen. Sind Sie gesund
geblieben?
Iwanow: Ja. Die Vorbereitung war so gut wie noch nie.
Das Ziel ist, zu gewinnen. Die Ambition muss man als Weltmeister haben.
Die Konkurrenz ist stark, aber eine Medaille ist das Minimum.
Herr Heukrodt, beschreiben Sie den anderen beiden doch mal, wie sich ein Olympiasieger fühlt!
Heukrodt:
Die Atmosphäre, die da rüberkommt, nur alle vier Jahre, ist einmalig.
In diesem Glücksgefühl fallen alle Mühen der Jahre zuvor vom Sportler
ab.
1980 gab es keine Paralympischen Spiele in Moskau, sondern
in Arnheim. Die UdSSR wollte sie nicht ausrichten. Waren Paralympics
damals ein Thema?
Heukrodt: Ehrlich gesagt, hatten wir das nicht
im Blick. Als Sportler bereitet man sich nur auf den eigenen Wettkampf
vor. Heute bin ich froh, dass der Stellenwert besser wird. Und immerhin
ist ab 2016 auch Kanu paralympisch.
Herr Iwanow, googelt man
Sie, findet man zuerst ein spezielles Foto: goldbrauner Oberkörper mit
Stacheldrahtkette. Sind Aktionen wie dieses Fotoshooting für
Behindertensportler notwendig, um Aufmerksamkeit zu bekommen?
Iwanow:
Das weiß ich nicht. Ich wurde 2010 gefragt, ob ich Interesse hätte. Ja,
klar, sagte ich. Ich hatte das vorher noch nie gemacht. Das Bild kam
gut an. Ich hatte aber keine Hintergedanken.
Frau Subschinski: »Dabeisein ist alles!« Galt das jemals für Sie?
Subschinski:
Ich hatte 2004 vor meinen ersten Spielen eine Diskussion darüber mit
Birgit Fischer. Sie sagte, man müsse immer eine Medaille angreifen. Für
mich war aber Dabeisein erst mal alles. 2008 war das schon anders. Ich
wusste nun, wie alles abläuft, und wollte die Medaille.
Herr
Heukrodt, warum hat dieses Motto für Kinder einen solchen Reiz, mit dem
Sport anzufangen, und ist dann, wenn sie bei Olympia sind, nicht mehr so
wichtig?
Heukrodt: Hat man im Leistungssport diese Stufe
erreicht, dann ist der Anspruch, eine Medaille zu holen. Wenn es doch
nicht klappte, konnten wir uns mit dem Dabeisein trösten. Ich versuche
als Trainer heute auch, junge Sportler zu begeistern: »Wenn du
mitmachst, bist du einer von uns. Du bist dabei.« Leider wird das immer
schwieriger. Kinder sind jede Menge bei uns auf dem Schulhof, aber wenn
sie nur von Ehrenamtlichen trainiert werden, ist die Qualität irgendwann
sehr schlecht.
Herr Iwanow, Sie sagten mal, paralympisches Gold hätte mehr Wert als ein Weltmeistertitel. Worin besteht der besondere Reiz?
Iwanow:
Paralympics und Olympische Spiele gibt es nur alle vier Jahre. Man hat
viel seltener die Chance, so erfolgreich zu sein. Außerdem ist das
Leistungsniveau noch mal höher. Man muss noch besser sein, um zu
gewinnen.
Herr Heukrodt, Sie waren 2008 als Funktionär dabei.
Worin liegen die Unterschiede zu ihren Spielen als Aktiver von 1980 bis
1992?
Heukrodt: Es ist mehr Geld im Spiel. Das Medieninteresse ist
genauso groß wie früher, aber drum herum wird versucht, mit dem Sport
viel mehr zu verkaufen.
1984 konnten Sie nicht zu den Boykottspielen von Los Angeles. Auch heute wird über Boykotte diskutiert. Sind sie wirksam?
Heukrodt:
Sport führt Menschen zusammen, egal welcher Hautfarbe, Herkunft oder
Glauben. Durch einen Boykott wird das auseinandergerissen. 1980 hatte er
keinen Erfolg, 1984 auch nicht. Bei den Spielen setzen sich Sportler
damit ohnehin nicht auseinander.
Diskuswerfer Robert Harting
fordert eine Dauerrente für Olympiasieger. Das würde Jugendliche
motivieren, das harte Training durchzuhalten, ohne Angst um die Karriere
nach dem Sport. Was halten Sie davon?
Subschinski: Ich stehe
hinter dem, was die Olympiastützpunkte durch Förderung der dualen
Karriere machen. Der Sport ist nicht alles. Wer will schon mit 25
aufhören und dann nur noch seine Rente kassieren. Deswegen sind
Ausbildungs- oder Studienplätze während der Sportlerkarriere wichtig.
Herr Iwanow, Sie können nicht wie Nora Subschinski von der Bundeswehr angestellt werden.
Iwanow:
Richtig. In der Sportfördergruppe können Athleten Ausbildung und Sport
gut vereinen. Leider ist die Bundeswehr noch so rückständig, dass das im
Behindertensport nicht möglich ist, weil man ja ausgemustert wird. Das
muss geändert werden.
Als Weltmeister war es für Sie »ein
Riesengefühl, die Nationalhymne zu hören«. Erklären Sie doch mal den
Linken, warum das so toll ist, ohne Nationalist zu sein.
Iwanow:
Darüber habe ich nie nachgedacht. Das ist meine Nationalhymne und ich
habe gewonnen. Die Kombination war unbeschreiblich schön. Das hat für
mich mit Nationalismus nichts zu tun.
Heukrodt: Ich habe sogar zu zwei Fahnen gejubelt. Und die der DDR durfte ich beim Abschied aus Seoul 1988 als Letzter ins Stadion tragen. Es geht dabei nicht um die Fahne, sondern um die vielen Institutionen, die einen unterstützt haben. Vom Verein bis zum Staat - alle haben ihren Anteil daran. Daran denkt man in dem Moment.
Was erwarten Sie von London? Werden es fröhliche oder doch Sicherheitsspiele?
Iwanow: Ich erhoffe mir, dass ich erfolgreich bin. Das Drumherum kriegt man als Sportler kaum mit.
Subschinski: Ich sehe das ähnlich. Als wir im Februar zum Weltcup in London waren, hielt der Bus ständig wegen Sprengstoffkontrollen. Natürlich hat uns das etwas genervt. Aber die Sicherheit steht an oberster Stelle. Die Leute sollen trotzdem viel Spaß mitbringen und die Zeit dort genießen.
Heukrodt: Für mich als Tourist sollen es genauso lockere Spiele werden wie in Athen, ein Fest für die Sportler und die Zuschauer.
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