Als Angelica Domröse Anfang der 60er Jahre ans Berliner Ensemble kam, stellte sich ihr der Schauspieler Erich Haußmann so vor: »Ich bin der Mann der Frau von Hermann Hesse.« Ziemlich ungewöhnliche Vorstellung. Aber Hermann Hesse hat Spuren hinterlassen bei den Menschen, die ihn liebten und die mit ihm zu leben versuchten. Narben vor allem. Seine erste Frau Maria Bernoulli endete in einer Irrenanstalt, seine dritte, Ninon Dolbin hatte ihm schon als vierzehnjährige Schülerin einen Fanbrief geschrieben und wusste also, was auf sie zukommt.
Über seine zweite Frau weiß man bis heute am wenigsten: Ruth Wenger. Hermann Hesses erster Biograf Hugo Ball mußte 1927 ein Kapitel zu Ruth Wenger wieder aus seiner Monografie herausnehmen; die Ehe war gerade geschieden worden und Hesse wollte nichts hören und lesen über Ruth Wenger. Eine Frau im Schatten. Unverdientermaßen. Ezard Haußmann ist der Sohn von Ruth Wenger, die nach ihrer Scheidung von Hesse den UFA-Schauspieler Erich Haußmann heiratete, selbiger, der dann lebenslang das Gefühl hatte, er sei mit der Frau von Hermann Hesse verheiratet. Ruth Wenger war die wichtigste Frau in Hesses Leben. Hatte er in der fast zehn Jahre älteren Maria Bernoulli noch einen Mutterersatz gesucht, fand er in Ruth Wenger eine Geliebte, die zwanzig Jahre jünger war als er. Eine Muse für seinen Montagnoler Neuanfang im Tessin. Mehr noch, die Fabrikantenfamilie Wenger (»Mein Großvater hat das Schweizer Taschenmesser erfunden«, sagt Ezard Haußmann) bietet dem »kleinen abgebrannten Literaten« eine Existenzgrundlage. Ohne Ruth Wenger gäbe es Hesses literarischen Aufbruch von 1919 nicht, der mit »Klingsors letzter Sommer« begann. Hier, im Kapitel »Der Kareno-Tag«, ist Ruth Wenger die »Königin der Gebirge«, die Herrin des »Papageienhauses«, eine »schlanke, elastische Blüte, straff und federnd, ganz in Rot, brennende Flamme, Bildnis der Jugend«.
Aber seine Muse sollte man niemals heiraten. Die Ehe kommt nur auf Druck des Vaters zustande, der nicht will, dass seine jüngste Tochter jahrelang eine Verhältnis mit einem verheirateten Mann hat. Die Ehe war schon zu Ende, als sie geschlossen wurde, sagt Ezard Haußmann. »Er hätte meine Großmutter heiraten sollen.« Denn auch Ruths Mutter, die Schriftstellerin Lisa Wenger, sorgte für ihn. Hesse hatte im Hause Wenger eine Mutter und eine Geliebte gefunden. Eines aber wollte er nicht: eine Ehefrau. Ezard Haußmann findet es zynisch, wie Hesse sich in Briefen über die - erzwungene - Ehe äußert. An Helene Welti schreibt er: »Ich werde jetzt, ohne es zu wollen, wahrscheinlich bald heiraten. Der Freundin, der die mir zwei Jahre auch ohne Aussicht auf Ehe treu war, bin ich es schuldig, ihrer Familie auch, andre Triebfedern sind nicht da ...«
Nie wird Hesse mit Ruth Wenger eine eigene Wohnung haben, auch in Hotels will er sein eigenes Zimmer. Ruth versteht nicht warum man, wenn man sich liebt, nicht zusammen sein kann. Sie ist Sängerin, aber sie wird nie auftreten, weil sie unter Auftrittsangst leidet. Schließlich erkrankt sie an Tuberkulose, kommt in ein Sanatorium und Hesse vergisst ganz, sie einmal zu besuchen. Als sie dann tief enttäuscht die Scheidung einreicht, ist er erstaunt. Im Scheidungsurteil von 1927 heißt es, Hesse nenne sich in seinen Büchern schließlich selbst einen Eremiten und Sonderling, Schlaflosen und Psychopathen, mit dem niemand zusammen leben könne.
Den für das Werk Hesses aufschlussreichen Briefwechsel von Ruth Wenger mit Hermann Hesse wird man nun bald nachlesen können. Ezard Haußmann hat mit dem Hesse-Herausgeber im Suhrkamp-Verlag, Volker Michels, die handschriftlichen Briefe sortiert und transkribiert. Ruth Wenger starb 1994, fast hundertjährig in einem Weimarer Stift. 1975 rekapitulierte sie auf dreißig Seiten die Geschichte ihrer Liebe und Ehe mit dem Dichter Hermann Hesse. Dieser gerade in seiner Naivität starke Text zeigt uns eine Beziehung aus gegenseitigem Unverständnis, das auch starke Gefühle nicht überbrücken konnten. Hesse: immer gereizt, ein Hypochonder, dem die Abstände zu anderen Menschen nie groß genug sein konnten.
Auch mit seiner dritten Frau Ninon Dolbin wird er nie wirklich zusammenleben. Man wohnt zwar in einem Haus, aber in zwei getrennten Wohnungen und verkehrt meist brieflich miteinander. Wenn schon der vor zwei Jahren erschienene Briefwechsel mit Ninon »Lieber, lieber Vogel« ein literarisches Ereignis war, so darf man auf den neuen Briefwechsel und die autobiografische Skizze Ruth Wengers besonders gespannt sein, weil sich hierin die - fruchtbar gemachte - Schaffenskrise der 20er Jahre spiegelt. Nie hätte Hesse ohne Ruth Wenger den »Siddhartha« - nach anderthalb Jahren Schreibblockade - beendet.
Mit Hesses 75. Geburtstag 1952 hebt der Briefwechsel, nach langem gekränktem Schweigen wieder an und dauert bis zu Hesses Tod. Auch Ezard Haußmann besuchte als Kind den früheren Mann seiner Mutter - einen freundlichen, etwas abwesend wirkenden älteren Herrn mit Strohhut. Wenn Haußmann jetzt ein Hesse-Programm zusammengestellt hat, dann, so sagt er, weniger für Hesse als für seine so lange in allen Hesse-Biografien beiseite geschobene Mutter. Darum will er auch jene Texte sprechen, die in besonderer Verbindung zu Ruth Wenger stehen. Hesse, der für jede seiner drei Frauen ein Märchen schrieb, schenkte Ruth »Piktors Verwandlungen«. Darin lesen wir: »Damals, da jede Verwandlung ihm offenstand, hatte das Leben in ihm geglüht wie niemals.«
Termine: heute im Theaterschiff Potsdam, 19.30 Uhr, Tel.: 0331/ 28 00 100 und am 15.9., Sündikat, Berliner Kabarett Theater, 20.00 Uhr, Tel.: 030/ 247 238 76
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.