Campen für den Braunkohleausstieg
Über drei Wochen Proteste im Rheinland, in der Lausitz und in Sachsen-Anhalt
Umweltaktivisten wollen mit bunten Aktionen - von der Fahrraddemonstration bis hin zu Blockadeaktionen - gegen die aus ihrer Sicht öko-sozial verheerenden Folgen der Förderung und Verstromung des besonders schadstoffhaltigen Energieträgers Kohle protestieren. Nacheinander finden sogenannte Klimacamps, politische und aktionsorientierte Zeltlager, im Rheinischen Braunkohlerevier bei Köln, im Mitteldeutschen Braunkohlerevier bei Leipzig und in der Lausitz statt. Es sind nicht die ersten Camps ihrer Art - nicht in Deutschland, erst recht nicht in Europa, wo Klimacamps seit Jahren einen festen Platz im sommerlichen Eventkalender linker Aktivisten haben. Aber, so versprechen die Organisatoren: »Der Braunkohlewiderstand wird stärker!«
Im Rheinland geht es gegen RWE und hier insbesondere gegen den Ausbau des Braunkohlekraftwerks in Bergheim-Niederaußem, das bereits jetzt zu den klimaschädlichsten Industrieanlagen der Welt zählt. In der Lausitz forciere RWE-Konkurrent Vattenfall Planverfahren für neue Tagebaue, derweil die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (MIBRAG) im mitteldeutschen Revier nach Investoren für einen Kraftwerksneubau suche.
»Wir wollen uns tatkräftig für eine Zukunft ohne Kohle und Atom einsetzen«, sagt Christina Eichberger, Pressesprecherin des Lausitzcamps. »In den USA rufen Persönlichkeiten wie der Klimawissenschaftler James Hansen oder die Autorin Naomi Klein zu Blockaden und Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen fossile Infrastruktur auf«, ergänzt Patrick Stötzel von der Initiative ausgeCO2hlt, die »einen sofortigen Braunkohleausstieg« fordert.
Denn wenn die derzeitigen Konzernpläne verwirklicht würden, dann würden die neuen (und alten) Braunkohlekraftwerke auf Jahrzehnte hin das Klima schädigen. »Dann ist es zu spät, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten«, so Aktivist Stötzel. Die Aktivisten sehen ihre Camps als Beitrag zur internationalen Solidarität - seien doch gerade die Menschen des globalen Südens von den Folgen des Klimawandels massiv betroffen.
Die Braunkohle - nur ein Thema für Ökos und Anarchos, die sich nicht scheren um »harte« Themen wie Arbeitsplätze und Gewerbesteuer? Nicht ganz. Das Thema bleibt präsent in linker und Gewerkschaftsbewegung. Und die Antworten auf die Frage »Klimaschutz oder Jobs?« fallen durchaus nicht einheitlich aus.
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fasste 2011 auf ihrem Bundeskongress einen energiepolitischen Beschluss, der der Braunkohle auf Jahrzehnte hin eine wichtige Rolle zuweist. Der fiel zwar nicht einstimmig aus, aber mit deutlicher Mehrheit. »Wir brauchen die Braunkohle als wichtigen Teil des Energiemixes, gerade nach dem Atomausstieg. An der Braunkohle hängen in Deutschland 50 000 Arbeitsplätze. Neue Braunkohlekraftwerke stoßen pro Kilowattstunde nur ein Viertel des Kohlendioxids aus, das jene Alt-Anlagen emittieren, die dann stillgelegt werden können«, argumentiert Sven Bergelin, Bundesfachgruppenleiter Energie und Bergbau der im Braunkohlebereich federführenden Gewerkschaft.
Derweil unterstützt die NRW-LINKE die Proteste im Rheinischen Braunkohlerevier. »Eine ökologische Energiewende geht nur ohne Braunkohle. Diese hat den höchsten Schadstoffanteil und CO2-Ausstoß der fossilen Energieträger. Durch den Ausstieg aus der Braunkohle und eine ökologische Energiewende können mehr Arbeitsplätze geschaffen und langfristig gesichert werden«, so LINKE-Landeschef Rüdiger Sagel, gelernter Bergbauingenieur. Doch auch in der Linkspartei gibt es Braunkohle-Befürworter. In Brandenburg entschied sich die Parteibasis im Januar denkbar knapp für die Option Klimaschutz und gegen Braunkohleverstromung.
Derweil bleiben in Nordrhein-Westfalen die Grünen merkwürdig still, wenn es um das Rheinische Braunkohlerevier geht. Tobten in der ersten rot-grünen Koalition der Jahre 1995 bis 2005 noch heftige Konflikte um den Tagebau Garzweiler II, die die Koalition mehrfach an den Rand des Scheiterns brachten, bis der damalige SPD-Ministerpräsident Wolfgang Clement seiner ungeliebten grünen Umweltministerin Bärbel Höhn das Ressort Raumplanung ent- und damit die Zähne zog, so schweigen die Öko-Bürgerlichen heute weitestgehend zum Tagebau Hambach. Dabei gelten all die Argumente, die Höhn und ihre Parteifreunde gegen Garzweiler anführten, auch bezogen auf Hambach: Der Tagebau hat verheerende ökologische und soziale Verwüstungen zur Folge und ist ökonomisch überflüssig.
Protest in Braunkohlerevieren
Nach Klimacamps im schottischen Douglas-Tal und im schweizerischen Zürich stehen in diesem Sommer noch drei weitere an - angekündigt wird nicht weniger als ein »heißer Protestsommer« in den drei großen Braunkohlerevieren der Republik. Es treffen sich Linke und Ökos, und das länder- und spektrenübergreifend. Heute beginnt das Klimacamp in Kerpen-Manheim rund 30 Kilometer westlich von Köln. Die bunten, auf unterschiedliche Zielgruppen zugeschnittenen Proteste in Europas größtem Braunkohlekomplex werden bis zum 12. August andauern (www.klimacamp.ausgeco2hlt.de). »Für eine Zukunft ohne Kohle und Atom - Klimagerechtigkeit und Energiesouveränität erkämpfen!«, so lautet das Motto des Lausitzer Klima- und Energiecamps. Es startet am 11. August mit einer Demonstration in Cottbus (www.lausitzcamp.info). Einen Tag nach Ende des Lausitzcamps geht es im sachsen-anhaltischen Hohenmölsen weiter: Vom 20. bis 26. August lädt der »Zukunftsbund Lützener Land« zum Klimacamp in den Burgenlandkreis (www.zukunftsbund-luetzen.de). nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.