Es gibt kein demokratisches Spitzeln

  • Jan Korte
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Inlandsgeheimdienst, verharmlosend »Verfassungsschutz« (VS) genannt, ist nicht reformierbar. Er gehört abgeschafft. Warum vertritt die Partei DIE LINKE konsequent diese Position? Warum wurde dies sogar 2011 in das Erfurter Grundsatzprogramm aufgenommen? Hierfür gibt es viele Gründe:

Zunächst sind Geheimdienste an sich Fremdkörper in einer Demokratie. Sie entziehen sich im Wesentlichen den demokratischen Geboten von Transparenz, parlamentarischer und öffentlicher Kontrolle. Es gibt kein demokratisches Spitzeln und keinen kontrollierbaren V-Leute-Komplex. Ein Geheimdienst tendiert kraft seiner Existenz und dem ihm immanenten Geheimnis- und Bedrohungswahn zur Desinformation, zur Verdunkelung und zum potenziellen Rechtsbruch. All dies sind Gründe genug, den VS aufzulösen.

Und der VS hat eine lange, sehr deutsche Geschichte, die den Feind der Demokratie nur in Linken sieht. Auf dem rechten Auge ist er blind. Auch das hat Gründe: Das Bundesamt und die Verfassungsschutzämter der Länder wurden 1950 gegründet, in der »restaurativen Epoche« (Walter Dirks). Die alten Nazis waren wieder am Werk. Die antikommunistischen Experten der SS waren gefragt. Diese wiederum bedienten ihre Kameraden oft, indem sie sie zu V-Leuten machten. Mit dem anstehenden KPD-Verbotsverfahren kam die Behörde dann richtig in Fahrt. Kommunistinnen und Kommunisten, andere Linke und FriedensaktivistInnen waren im Visier. Ehemalige Nazis konnten da weitermachen, wo sie 1945 gezwungenermaßen aufhören mussten: Bei der Verfolgung von Linken - wenn auch rechtsstaatlich in ihrem Treiben beschränkt. Nach dem KPD-Verbot 1956 war der antikommunistische Kreuzzug aber längst noch nicht vorbei: Studenten mussten überwacht, bespitzelt und die Bedrohung als dramatisch herbeiphantasiert werden. In den siebziger Jahren lieferte der Verfassungsschutz die Dossiers zum Radikalenerlasses. Tausende von Berufsverbotsverfahren waren ab 1972 die Folge, denen fast ausschließlich Linke zum Opfer fielen. Man kann diese Liste beliebig fortsetzen: Anti-Atom-Proteste, die Anti-Volkszählungsbewegung, Widerstand gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm... Das Muster ist immer gleich und hat stets jene im Blick, die mittels Protest, Nachdenken, Lesen, Publizieren und Demonstrieren Kritik an den herrschenden Zuständen äußern. Der Verfassungsschutz stand immer auf der falschen Seite. Soweit zur Geschichte.

Was wir aber aktuell erleben müssen, ist selbst für die konsequentesten Kritiker des VS kaum denkbar gewesen. Über zehn Jahre zieht eine Nazibande durch Deutschland und ermordet zehn Menschen. Der Geheimdienst unterhält ein V-Leute-System, welches selber Teil des Naziproblems geworden ist und bekommt angeblich nichts mit. Während selbst bürgerliche Journalisten feststellen, dass die Unkenntnis schon schlimm genug ist, es aber noch schlimmer wäre, »wenn er etwas erfahren, aber nichts dagegen getan hätte. Das wäre fast eine Art Beihilfe, und man weigert sich, so etwas zu denken« (Heribert Prantl), muss man diese Weigerung in Frage stellen. Der VS ist eben keine auf Abwege geratene Feuerwehr, sondern eine staatliche Organisation von Brandstiftern. Oder wie ist sonst zu erklären, dass der VS Akten zur NSU-Terrorzelle schreddert? Natürlich ist dies kein Zufall, sondern gezielte Verschleierung. Und das Schreddern eventuell belastender Akten ist im System eines Geheimdienstes angelegt. Ebenso, dass die verantwortlichen Politiker und Innenminister am Nasenring durch die Manege gezogen werden.

Dass diese Politiker, die Verantwortung übernehmen müssten, parallel weiter ihre antikommunistische Kampfbehörde namens »Verfassungsschutz« gegen Mitglieder und Abgeordnete der Linkspartei in Stellung bringen, machte den Irrsinn komplett. Was wollen sich Öffentlichkeit und Politik eigentlich noch alles gefallen lassen? Die Empörung ist zu gering und den Vorgängen nicht angemessen.

Die BürgerInnen haben das Recht, scharfe, sarkastische und zugespitzte Kritik an Gesellschaft und Staat zu üben, was die Kritik der Sicherheitsarchitektur einschließen muss. Diese Kritik ist Triebkraft einer lebendigen Demokratie. Sie mit Geheimdienstmethoden einzuschüchtern, ist antidemokratisch.

Was tun? Nach so viel unaufgearbeiteter Geschichte, Skandalen, Vertuschungen, Falschinformationen und Verselbstständigung kann es kein »weiter so« geben. Die vom VS zusätzlich gewonnenen Befugnisse im Anti-Terror-Kampf müssen sofort zurückgenommen werden. Die Politik muss konkrete Schritte zur Auflösung dieser Behörde ergreifen. Die Alternative sind offen und transparent arbeitende Forschungs- und Dokumentationsstellen. Ein Großteil der eingesparten Gelder sollte zivilgesellschaftlichen Initiativen zur Verfügung gestellt werden. Denn diese sind die wirklichen Verfassungsschützer.

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