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Brasiliens »Jahrhundertprozess«

Korruptionsaffäre nach sieben Jahren vor Gericht

  • Andreas Knobloch
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Mühlen der Justiz mahlen langsam: Sieben Jahre sind vergangen bis zum Beginn des größten Korruptionsprozesses in der Geschichte Brasiliens. Die Presse spricht vom »Jahrhundertprozess«.

Seit Ende vergangener Woche müssen sich 38 Angeklagte vor dem Obersten Gericht Brasiliens verantworten. Darunter sind der ehemalige Kabinettschef José Dirceu und weitere Mitglieder der früheren Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, ehemalige Abgeordnete, Banker, Unternehmer ... Vorgeworfen wird ihnen, ein System zur Bestechung von Parlamentariern betrieben zu haben, Staatsanwalt Roberto Gurgel sprach vom »kühnsten und empörendsten Schema von Korruption und Veruntreuung öffentlicher Gelder, das in Brasilien jemals gesehen wurde.«

Als Kopf des Netzwerks gilt Dirceu. Neben dem Mitbegründer der Arbeiterpartei (PT), werden der frühere PT-Schatzmeister Delúbio Soares und der ehemalige Vorsitzende José Genoino als Schlüsselfiguren genannt.

Die PT war nach den Präsidentschaftswahlen 2002 erstmals an die Regierung gekommen, ohne jedoch über eine eigene Mehrheit im Parlament zu verfügen. Durch monatliche Schmiergeldzahlungen von bis zu 20 000 Reais (8000 Euro) sollen Politiker verbündeter Parteien deshalb zu regierungsfreundlichem Abstimmungsverhalten bewegt worden sein. Der Skandal, in Brasilien als »Mensalão«-Affäre bekannt, kam 2005 ans Licht und brachte die damalige Regierung Lula fast zu Fall. Dirceu bezichtigte in seinem Blog daher die »konservativen Medien« und die Rechte des versuchten Staatsstreichs in jenem Jahr.

Alle Angeklagten, denen Haftstrafen bis zu 12 Jahren drohen, haben sich für unschuldig erklärt. Soares gab zwar die Verteilung illegaler Gelder an Abgeordnete zu, er bestreitet aber, dass sie zum Stimmenkauf dienten. Die Richter des Obersten Gerichts, in der Mehrzahl von Präsident Lula und dessen Nachfolgerin Dilma Rousseff ernannt, werden ihr Urteil frühestens im September fällen. Wenig später stehen in Brasilien wichtige Kommunalwahlen auf der Tagesordnung.

Doch nicht nur darauf könnte der Prozess Auswirkungen haben. Beobachter sprechen von einem wichtigen politischen Signal für Brasilien, dessen öffentlicher Dienst bisher von Korruption und Straflosigkeit geprägt ist. Eine Verurteilung könnte dem Ruf Lulas und der PT arg schaden, Dilma Rousseff dagegen, die ebenfalls der Partei angehört, könnte der Prozess sogar zugutekommen.

Lula hat immer bestritten, von dem Korruptionsschema gewusst zu haben. Tatsächlich gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass er die Unwahrheit sagt. Als der Skandal ans Licht kam, fühlte er sich »verraten« und sagte, die PT müsse »um Verzeihung bitten«. Nach seiner Wiederwahl 2006 bezeichnete er den Fall allerdings als »Intrige« gegen seine Regierung. Dilma Rousseff wiederum steht seit ihrem Amtsantritt 2011 im Ruf einer Kämpferin gegen die Korruption. Schon sieben Minister mussten deshalb ihren Hut nehmen. Niemand von den Beschuldigten gehörte ihrer Regierung an. Eine Verurteilung würde deshalb zeigen, dass in ihrer Präsidentschaft ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeit gegen die Korruption vorgegangen wird. Brasiliens Altpräsident Fernando Henrique Cardoso spricht von einem möglichen Wandel der »Kultur des Landes«.

Doch bedürfte es dafür wohl nicht nur einiger Gefängnisstrafen. Denn die Korruptionsaffäre widerspiegelt die Defizite des politischen Systems, und die sind struktureller Art. Die derzeitige Regierungskoalition besteht aus zehn Parteien; es gibt fast 40 Ministerien. Politische Unterstützung wird vor allem durch die Verteilung von Ämtern erworben, was Vetternwirtschaft und Korruption begünstigt.

Anfang des Jahres war eine große Ministerialreform im Gespräch, doch auch Rousseff scheut bisher davor zurück. Die Mühlen der Politik mahlen noch langsamer als die der Justiz.

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