Meißen nennt vielleicht doch noch Namen
Neuer Anlauf für Ehrung von Ex-SPD-Stadtchef
Seit vorigem Sommer ist im Pflaster vor dem Meißner Rathaus eine Tafel eingelassen. Zu lesen ist dort, dass »Meißner Bürger« im April und Mai 1945 an jener Stelle »ihre Stimme erhoben« hätten. Dank ihres Mutes habe die Stadt den Krieg fast unzerstört überstanden. Genaueres erfahren Passanten nicht - genauso wenig wie die Namen.
Das hat Gründe. Seit 2006 wird in der Stadt gestritten, ob zweier Bürger gedacht wird, die am Ende des Zweiten Weltkrieges Mut bewiesen. Es handelt sich um Superintendent Herbert Böhme und Willy Anker, einst Stadtchef der SPD.
Böhme hatte am 27. April 1945 den Bürgermeister gedrängt, auf eine Verteidigung der zuvor zur Festung erklärten Stadt zu verzichten, um ihre Zerstörung durch die Rote Armee zu vermeiden. Er wurde postwendend zum Tode verurteilt: Auf »Defätismus« stand seit 1944 die Todesstrafe. Böhme entging im Dresdner Gefängnis nur durch glückliche Umstände der Hinrichtung.
Neue Studie vorgelegt
Der SPD-Mann Anker forderte am 6. Mai vom Balkon des Rathauses aus eine auf dem Marktplatz versammelte Menge auf, den soeben verlesenen Befehl zur Evakuierung zu ignorieren. Weil die sowjetischen Truppen inzwischen vor den Stadttoren standen, sollte die Bevölkerung Meißen verlassen und so das Schlachtfeld räumen. Anker widersprach beim Bürgermeister und wiederholte seine Einwände auch vor den Bürgern, obwohl ihm ein Wehrmachtsoffizier mit sofortiger Erschießung drohte. Es ist wohl nur der Hektik der letzten Kriegsstunden zu danken, dass er mit dem Leben davonkam.
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Im Februar 2006 warf ihm dann ein CDU-Stadtrat vor, er sei »nach unserer Ansicht kein Kämpfer gegen die braune Diktatur, sondern der erste Propagandist der folgenden roten Diktatur« gewesen. Der Stadtrat entschied sich mehrheitlich, auf eine namentliche Ehrung Ankers (und gleichzeitig auch Böhmes) zu verzichten. Doch jetzt könnte in die Debatte noch einmal Bewegung kommen. Auslöser ist eine Expertise, die der Historiker Thomas Widera vom Hannah-Arendt-Institut Dresden im Auftrag der Stadt angefertigt hat. Er habe untersucht, wie Anker die Geschehnisse im Mai 1945 im weiteren Laufe seines Lebens dargestellt habe, sagte Widera - Geschehnisse, für deren Fortgang er teilweise von seinen Genossen harte Kritik einstecken musste.
Denn nach der Befreiung hatte Anker einen Sowjet gegründet, statt in einem Parteienbündnis an den Aufbau zu gehen. Anton Ackermann, der nach der Befreiung eine KPD-Initiativgruppe für Sachsen leitete, kritisierte diesen Verstoß gegen die Parteilinie. Anker habe aber auch in späteren Darstellungen zu seinem Vorgehen gestanden. Widera hält dessen Schilderungen aus dem Frühjahr 1945 damit insgesamt für wahrheitsgetreu. Sein Fazit: Anker habe sich am 6. Mai 1945 »in realer Todesgefahr befunden«, weil er dem NS-Regime »an exponierter Stelle widersprochen hat«.
Die Stadt hat Wideras Studie allen Ratsmitgliedern zugeleitet; zudem sei sie über Archiv und Museum zugänglich, sagt Ordnungsbürgermeister Hartmut Gruner. Er erklärte auf Anfrage zugleich, dass die Verwaltung die Expertise weder bewerten noch einen neuen Beschlussantrag vorlegen werde.
Eine Tafel in der Straße
Den kündigte indes Andreas Graff an, der in einer parteiübergreifenden Initiativgruppe »Willy Anker« mitarbeitet und für die LINKE im Stadtrat sitzt. Es sei »zu erwarten«, dass nach der Sommerpause ein neuer Vorstoß erfolge, sagte er. Denkbar sei etwa eine namentliche Würdigung Ankers auf einer Tafel in der Straße, in der er einst gewohnt habe. Auch an Herbert Böhme erinnert neben einem Straßennamen eine Tafel an seiner Wirkungsstätte, dem Meißner Dom. Der Name Ankers, betont Graff, dürfe jedenfalls nicht vergessen werden: »Er gehört zu unserer Erinnerungskultur.«
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