Cameron surft auf der Olympia-Welle
Der angeschlagene britische Tory-Premier sucht Wege aus dem Umfragetief
Der in letzter Zeit angeschlagene Premier David Cameron hofft auf bessere Zeiten. Seine Sozial- und Finanzpolitik - Steuersenkungen für Reiche, Streichungen für Arbeitslose und Geringverdiener, Erhöhungen der Mieten im sozialen Wohnungsbau - bescheren dem Konservativen andauernde negative Schlagzeilen. Der Haushalt des Finanzministers George Osborne wurde so stümperhaft vorbereitet, dass er von der Regierung selbst mehrmals nachgebessert werden musste. Und zum ersten Mal erwächst Cameron in den eigenen Reihen ein Rivale. Der im Mai bei sonstigen Labour-Siegen wiedergewählte Londoner Oberbürgermeister Boris Johnson - wie Cameron Zögling der Eliteschule Eton, aber mit populistischen Talenten gesegnet, die dem Premier abgehen - wusste sich mit Dauerlächeln bei Olympia allgegenwärtig zu präsentieren.
Um das Blatt zu wenden, versammelte der Premier die Pressevertreter im Rosengarten seines Amtssitzes und pries Großbritannien »nicht als Land der Vergangenheit, sondern der Gegenwart und der Zukunft«. Die Journalisten sollten diesen Geist weitertragen. Dazu verlangte Cameron mehr Wettbewerb im Schulsport schon von der Grundschule an und präsidierte bei einer Veranstaltung gegen den Hunger in der Welt - ganz zufällig neben dem noch nicht als konservativen Wahlhelfer bekannten Olympiasieger Farah. Dass Cameron gegen den Willen vieler sparwütiger Parteifreunde den Entwicklungshilfeetat bisher gerettet hat, muss man ihm hoch anrechnen. Und Freude am Sport schon bei Kleinkindern zu wecken und zu fördern, ist fraglos ein erstrebenswertes Ziel.
Ob jedoch das konservative Wettbewerbsdogma bei Fünfjährigen taugt? Und wenn die Schüler im einem Armenviertel von Sunderland im Schnitt um etliches kleiner gewachsen sind als die Kinder in Mittelstandsgegenden, dann hat das mit mangelnder - oder falscher - Ernährung zu tun und ist zuerst ein soziales Problem. Die Scheinheiligkeit von Camerons Sportliebe zeigt sich auch, wenn er zwischen der zunehmenden Fettleibigkeit im Lande und der Werbung des Olympia-Sponsors McDonalds keinen Zusammenhang sieht. Oder wenn die Kampagne »Partnerschaft zwischen Schule und Sport« seiner Labour-Vorgänger den Tory-Kürzungen zum Opfer fällt und Schulsportplätze aus Geldmangel verhökert werden müssen.
Viel Wortgetöse also vom Premier, aber wohl weniger Medaillen in der Zukunft. Doch wird Cameron in vier Jahren noch im Amt sein? Trotz Olympia-Hochstimmung hat sich die Begeisterung für die Sieger nicht auf die Regierenden übertragen, zumal sich die Koalition fetzt. Camerons stille Hoffnung im Umfragetief bestand darin, durch eine Wahlkreisreform auf Kosten von Labour 20 bis 25 zusätzliche Mandate bei der Wahl von 2015 zu gewinnen. Doch nachdem Tory-Hinterbänkler die Pläne der mitregierenden Liberaldemokraten zur Demokratisierung des Oberhauses vereitelten, zeigt sich nun LDP-Chef Nick Clegg ungewohnt rebellisch, verweigert die Zustimmung seiner Fraktion zur Wahlkreis-Neuverteilung, die damit durchzufallen droht.
Und bald könnte den Tories auch noch ein symbolträchtiges Mandat verloren gehen, denn die prominente Neu-Parlamentarierin Louise Mensch gibt ihren 2010 nur knapp gewonnenen Wahlkreis Corby in der Grafschaft Northampton ab. Wer im Unterhaus Corby vertritt, gewinnt die Wahl, ist seit den 1970er Jahren ungeschriebenes Gesetz. Oppositionsführer Ed Miliband hat den Wahlkreis schon besucht, mit zufriedenem Lächeln.
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