Schutz vorm Wasser
In Deiche wurde seit der Flut viel investiert
Ein solcher Regen war ohne Beispiel: 312 Liter ergossen sich am 12. und 13. August 2002 im sächsischen Zinnwald pro Quadratmeter - das Vierfache dessen, was sonst im gesamten August niedergeht. Die Rekordniederschläge im Osterzgebirge waren neben dem lang anhaltenden Regen im Einzugsgebiet der Elbe für eine Naturkatastrophe verantwortlich, die umgehend als »Jahrhundertflut« bezeichnet wurde. Weißeritz, Müglitz und Mulde rauschten entfesselt zu Tal, brachten Staudämme etwa in Glashütte zum Bersten, spülten Straßen und Schienen, Häuser und Autos hinweg. Gleichzeitig stieg die Elbe; in Dresden erreichte sie am 17. August eine für unmöglich gehaltene Pegelhöhe von 9,40 Meter.
Die Folgen der Flut waren verheerend, vor allem in Sachsen. 21 Menschen starben. 740 Kilometer Straßen und 180 Brücken wurden zerstört; die Bahn büßte ein Fünftel des Streckennetzes im Freistaat vorübergehend ein. Als nahe Riesa zwei Brücken einstürzten, brachen die Verbindungen von Dresden nach Leipzig sowie von Chemnitz nach Berlin zusammen. Ganze Innenstädte etwa in Grimma oder Döbeln wurden von den Wassermassen verwüstet. Auch flussabwärts kämpften Zigtausende Helfer, darunter vom THW und der Bundeswehr, an aufgeweichten Deichen. In Sachsen-Anhalt wurde etwa der Dessauer Stadtteil Waldersee geflutet, in Niedersachsen die Innenstadt von Hitzacker. Im November bezifferte die Bundesregierung den Gesamtschaden der Flut auf 9,2 Milliarden Euro, davon allein sechs Milliarden in Sachsen.
In den zehn Jahren, die seither vergangen sind, hat sich einiges getan. Innenstädte wurden wieder aufgebaut, Gleise instand gesetzt, Straßen saniert. Ein Gutteil des Geldes stammt aus einem Aufbauhilfefonds von 4,7 Milliarden Euro, den Bund, Länder und Kommunen 2002 ins Leben riefen. Vor allem die großzügigen Hilfen des Bundes waren nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass eine Bundestagswahl bevorstand, bei der Gerhard Schröder (SPD) erneut Kanzler werden wollte.
Viel Geld und Energie ist seither allerdings auch in eine Verbesserung des Hochwasserschutzes geflossen. In Sachsen-Anhalt hatten sich von 1312 Kilometern an Deichen gut die Hälfte als sanierungsbedürftig erwiesen. Bisher sind 510 Kilometer auf den neuen Stand gebracht - und dafür satte 450 Millionen Euro investiert worden. Um alle geplanten Maßnahmen umsetzen zu können, müsste das finanzschwache Land bis 2020 freilich in der Lage sein, weitere 670 Millionen Euro auszugeben.
Nicht nur die hohen Kosten sorgen dafür, dass sich die Arbeiten in die Länge ziehen. An vielen Stellen stoßen Baumaßnahmen auch auf Widerstand bei Bürgern. So seien in Sachsen von 351 als »hoch prioritär« bezeichneten Vorhaben gerade 80 fertig gestellt, klagt Umweltminister Frank Kupfer (CDU); weitere 55 seien im Bau. Gestritten wird um Rückhaltebecken an der Mulde wie um Flutmauern in Dresden-Laubegast oder Roßwein.
Während Kupfer nun erklärt, wenn der Widerstand nicht nachlasse, werde eben nicht gebaut, üben Bürger und Naturschützer Kritik an der Prioritätensetzung: Vielerorts werde zuerst auf technischen Hochwasserschutz gesetzt - also höhere Deiche, festere Dämme, neue Mauern. Die Wirkung ist oft kontraproduktiv. So wurde in Rochlitz eine teure Flutmauer gebaut - die nach starkem Regen dafür sorgte, dass das Wasser aus Nebenflüssen nicht aus dem Stadtzentrum abfließen konnte.
Der BUND erinnerte deshalb dieser Tage an einen Aktionsplan von 2002, der vor allem den vorbeugenden Schutz vor Hochwasser verbessern sollte. Durch Aufforstung und andere Ackertechniken sollte Regen länger zurückgehalten werden; die Flüssen sollte mehr Raum zur Ausbreitung erhalten: »Breitwasser ist besser als Hochwasser«, sagt BUND-Chef Hubert Weiger. Die Bilanz ist ernüchternd: Es sei »kaum etwas passiert«. Von 35 Projekten zur Rückverlegung von Deichen oder dem Bau von Poldern, die eine Internationale Kommission zum Schutz der Elbe vorgeschlagen hat, sind gerade einmal fünf umgesetzt, darunter ein 450 Hektar großes Vorhaben im brandenburgischen Lenzen, das der BUND selbst betreut. In Sachsen, klagen die Naturschützer, werde verbreitet sogar wieder in Flussauen gebaut.
Das ist um so fataler, weil eine erneute Flut nicht ausgeschlossen ist. Zwar hat es bisher noch nie wieder so geregnet wie im August 2002 in Zinnwald. Doch derlei extreme Einzelereignisse, warnt der Deutsche Wetterdienst (DWD), gehören »zum normalen Repertoire des mitteleuropäischen Klimas«.
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