Eine Geschichte ohne Regisseur

Umstrittener Dokumentarfilm »Goldrausch« über die Treuhand kommt in die Kinos

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.
Jahre später erscheinen geschichtliche Vorgänge von einer Folgerichtigkeit, die erschreckend ist. Kaum ein Vierteljahr dauerte es von den ersten Montagsdemos in der DDR bis zum Mauerfall, wenige Monate darauf kam die Währungsunion. Vier Jahre später - Ende 1994 - schraubte Vorstandschefin Birgit Breuel das Firmenschild vom Sitz der Treuhandanstalt ab.

Das Tempo, mit dem eine Volkswirtschaft eines knapp 17 Millionen Menschen zählenden Volkes verkauft, abgewickelt oder irgendwie aus dem Volkseigentum irgendwohin überführt wurde, war atemberaubend. Ohne den ganz großen westdeutschen Übernahme-Plan wäre das nie und nimmer möglich gewesen, sagen dann auch die üblichen Verschwörungstheorien. Oder gab es in Wahrheit einen großen Regisseur namens Marktwirtschaft, der Politiker, Manager, Ex-Kombinatsdirektoren samt der nicht mehr lange werktätigen Massen austrickste?

Darüber ist viel geschrieben und diskutiert worden, und es wird noch viel mehr geschrieben und diskutiert werden. Der wachsende historische Abstand lässt Akteure redseliger und Archive zugänglicher werden. So erschien im Frühjahr dieses Jahres das auch im »neuen deutschland« von Harry Nick hochgelobte Buch von Dirk Laabs »Der deutsche Goldrausch: Die wahre Geschichte der Treuhand«.

Ende dieser Woche kommt nun ein Dokumentarfilm ins Kino, dessen Titel ähnlich kling: »Goldrausch - die Geschichte der Treuhand«. Warum gegenüber dem Buchtitel Worte weggelassen wurden, hätte man den Regisseur des Films gern gefragt. Das geht aber nicht, denn es gibt keinen Regisseur. Das heißt: Es gab schon einen, dessen Name darf aber im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Film nicht genannt werden. Das musste der Autor dieser Zeilen schriftlich gegenüber dem Filmverleih, dessen Name hier nicht genannt wird, erklären. Eine absurde, kafkaeske Situation, gegen die sich der einstige Regisseur inzwischen rechtlich zu wehren beginnt.

Der, dessen Name nicht genannt werden darf, hatte aber offenbar (oder hätte) gute Gründe gehabt, sich vom Projekt zurückzuziehen. Denn der Wahrheit über die Treuhand kommt das jetzt veröffentliche Material nicht näher. Nicht nur, weil Helmut Kohl zum x-ten Mal als Einheitskanzler auftreten darf. Völlig ausgeblendet werden die makroökonomischen Bedingungen, unter denen die Treuhand die DDR-Wirtschaft in die Marktwirtschaft schleppen sollte: Kein Wort über die rasche Einführung der D-Mark, die den ohnehin in der Substanz geschwächten Betrieben endgültig Märkte und Kalkulationsgrundlage entzog. Der Handel mit der UdSSR und anderen RGW-Staaten sei weggefallen, weil der Ostblock einfach verschwunden sei, behauptet der Off-Kommentar. In Wirklichkeit aber tauchten die osteuropäischen Handelsvolumen der DDR kurze Zeit später in den Bilanzen westdeutscher Unternehmen auf.

Zu sehen sind weitgehend bekannte Treuhand-Skandale: Steigenberger und Interhotel, Lufthansa und Interflug, Pentacon, Wärmeanlagenbau Berlin, der Krimi um die Niederlassung Halle; um Leuna und Elf Aquitaine. Im Kern bleibt alles meist im Subjektiven: Auf der einen Seite stehen die, die notwendige, aber schmerzhafte Entscheidungen treffen mussten, aber das Neue verkörperten; auf der anderen Seite die, die am Alten festhielten und deswegen leider zu den Verlierern gehören mussten. Allergrößte Helden sind die Werktätigen, die Einsicht ins Unvermeidliche zeigten und sich, murrend zwar, doch fügten. Noch die beste Szene ist die mit dem Eingeständnis des ostdeutschen Treuhand-Direktors Detlef Scheunert: Ihm erscheint heute die von ihm damals gegen alle Widerstände durchgezogene Schließung des Glaswerks Ilmenau nicht mehr alternativlos. Eine Fortführung des Werks wäre auch gegen die Treuhandspitze und die westdeutsche Konkurrenz durchsetzbar gewesen - Scheunert wörtlich: »Wenn ich mich konzentriert hätte, diesen Weg zu gehen, wäre das möglich gewesen.«

Dass Scheunert der einzige Ostdeutsche gewesen sei, der, wie der Film behauptet, in der Treuhand Karriere machte, stimmt so nicht. Von Anfang an saß im Treuhandvorstand mit Wolfram Krause ein Ehemaliger aus der Staatlichen Plankommission der DDR. Der Film weist nicht nur Detailfehler auf, er wirkt auch handwerklich unfertig. So eilen nadelgestreifte Manager durch den ersten Treuhandsitz am Alexanderplatz, werden zu Verhandlungen befragt. Wer die Herren sind, worüber verhandelt werden soll, wird nicht erzählt. Mehrmals sind aufgebrachte Werktätige protestierend vor Werktoren oder vor der Treuhand zu sehen - wer, wann gegen was demonstriert, erfährt man nicht.

Offenbar sollte oder musste der Film - koste es, was es wolle - am Ende irgendwie rausgebracht werden. Nach mehreren Schnittfassungen und dem Ausstieg des Regisseurs habe man sich entschlossen, die erste, die sogenannte Produktionsfassung in die Kinos zu bringen, erklärt der Produzent des Films, dessen Name hier nicht die Rolle spielen soll. Diese Fassung aber präsentiert (Treuhand-)Geschichte auf Klippschul-Niveau. Extra ins Kino gehen - das muss man sich aber nicht antun. Diese Geschichte hätte einen Regisseur gebraucht und verdient.

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