Die Freilassung von Maurice Papon hat in der französischen Öffentlichkeit Empörung und massive Proteste ausgelöst. Der 92-jährige ehemalige Präfekt des faschistischen Vichy-Regimes, der 1998 wegen Beihilfe zur Deportation von 1500 französischen Juden nach Auschwitz zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden war, ist am Mittwoch von einem Pariser Berufungsgericht aus gesundheitlichen Gründen auf freien Fuß gesetzt worden.
Vor dem Pariser Gefängnis Santé, das Papon zu Fuß verließ, um sich im Auto seines Anwalts in sein Haus bei Paris zu begeben, wurde er von Demonstranten und Sprechchören wie »Die Freilassung ist eine Schande« empfangen. Die Bewegung gegen Rassismus MRAP sprach von einer »Beleidigung des Andenkens zahlreicher Opfer der Deportation«. Einer der Kronzeugen im Prozess von Bordeaux, Michel Slitinsky, sagte, Papon habe gegenüber seinen Opfern längst nicht die gleiche Milde walten lassen. Grünen-Abgeordneter Noel Mamère bezeichnete die Gerichtsentscheidung als »Provokation gegenüber der Erinnerung an die Opfer der Shoa«.
Die FKP hat zu einer Protestdemonstration aufgerufen. Eine weitere Demonstation wollen die Familien von Papons Opfern in Bordeaux organisieren, wo der Nazi-Präfekt 1943/44 »wirkte« und und wo 1997/98 sein Prozess stattfand. Justizminister Dominique Perben erklärte, er habe sich wegen der besonderen Schwere der Schuld für einen Verbleib von Papon in Haft ausgesprochen und er werde »alle Möglichkeiten prüfen, um die Entscheidung durch ein übergeordnetes Gericht wieder aufheben zu lassen«. Präsident Jacques Chirac, der schon drei Gnadengesuche von Papon zurückgewiesen hat, »fühlt mit den Angehörigen der Opfer und allen anderen Franzosen, die über diese Entscheidung bestürzt sind«, so Perben.
Papon kam in den Genuss des erst dieses Frühjahr durch Gesundheitsminister Bernard Kouchner vorgeschlagenen und von der linken Parlamentsmehrheit verabschiedeten »Gesetzes über die Rechte der Kranken«, demzufolge Häftlinge, die so krank sind, dass ihr baldiger Tod zu erwarten ist, als nicht mehr haftfähig zu gelten haben. Das haben dem Herzkranken zwei Mediziner bescheinigt. Allerdings gibt es in der Öffentlichkeit starke Zweifel, ob nicht die Schwere seiner Krankheit ähnlich wie bei Pinochet nur simuliert ist.
Das von Papons Anwälten angerufene Gericht hat sich an die Buchstaben des Gesetzes gehalten, obwohl die Staatsanwaltschaft entgegenhielt, dass die Freilassung »ein öffentliches Sicherheitsrisiko darstellt« und dass der Verurteilte niemals auch nur die geringste Reue gezeigt hat und somit keine Gewähr für eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft gegeben sei. Die Anwälte Papons bezeichneten die Entscheidung des Gerichts als »großen Sieg« und sie kündigten an, dass sie mit allen juristischen Mitteln für eine Wiederaufnahme des Prozesses, für eine Revision des Urteils und die Rehabilitierung von Papon kämpfen wollen. Die ehemalige sozialistische Justizministerin Elisabeth Guigou sagte: »Papon und seine Anwälte sollten wenigstens ein Minimum an Anstand beweisen und endlich schweigen, um sich in Vergessenheit zu bringen.«