Entscheidung zugunsten der Verbraucher: Rückzahlungen durch den Versicherer Deutscher Ring?
BGH-Urteil: Bedingungen für Lebens- und Rentenversicherungen bis 2006 unwirksam
Am 25. Juli hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe eine Verbandsklage gegen die Deutscher Ring Lebensversicherung über die Wirksamkeit von Versicherungsbedingungen zugunsten der Verbraucher entschieden (Az. IV ZR 201/10 - siehe auch nd-ratgeber vom 22. August 2012).
Verbraucherzentrale Hamburg klagte gegen die »Allgemeinen Versicherungsbedingungen«
Geklagt hatte die Verbraucherzentrale Hamburg. Ehemalige Kunden, die ihre Lebens- oder private Rentenversicherung vorzeitig kündigten, können nun eine Nachberechnung ihrer Rückkaufswerte verlangen. »Dem Urteil«, so Claus-Peter Meyer vom Branchenblatt »Versicherungsjournal«, »wird eine Signalwirkung für die ganze Branche zugesprochen.« Davon gehen auch die Verbraucherzentralen und der Bund der Versicherten aus.
Konkret ging es um die »Allgemeinen Versicherungsbedingungen« für eine kapitalbildende Lebensversicherung, eine aufgeschobene sowie für eine fondsgebundene Rentenversicherung - jeweils im Fall einer Kündigung und im Fall der Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung.
Diese Bedingungen hatte der Deutsche Ring im Zeitraum 2001 bis Ende 2006 verwendet (andere Versicherer wohl mindestens bis 2007). Streitgegenstände waren die Verwendung der Klauseln zu Rückkaufswerten, den Stornoabzügen sowie zur Verrechnung von Abschlusskosten (»Zillmerung«). Diese fallen beim Abschluss neuer und bei der Abwicklung bereits geschlossener Versicherungsverträge an.
Die Verbraucherzentrale Hamburg hatte erstmals 2009 gegen den Deutschen Ring und andere Versicherer geklagt. Gegen das Urteil der ersten Berufungsinstanz, dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg (Az. 9 U 236/09), hatten beide Seiten 2010 Revision beim BGH eingereicht. Dieser hat nun im Urteil vom Juli 2012 die Revision des Versicherungskonzerns im Wesentlichen zurückgewiesen und der Revision der Verbraucherschützer stattgegeben.
BGH: »Unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers«
Der für Versicherungen zuständige Vierte Senat des BGH hat entschieden, dass Bedingungen, nach welchen die Abschlusskosten schon mit den ersten (!) Beiträgen ganz verrechnet werden, eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers darstellen und deshalb unwirksam sind.
Die hohen Abschlusskosten kassieren zu einem erheblichen Teil die Vermittler als Provision. Die sogenannte Zillmerung führte dazu, dass Versicherungsnehmer, die ihren Vertrag bereits nach wenigen Jahren kündigten, nur einen geringen oder gegebenenfalls gar keinen Rückkaufswert erhielten.
Die Karlsruher Richter haben damit ihre bisherige Rechtsprechung fortgeführt: »Der Senat hat insoweit seine bisherige Rechtsprechung in den Urteilen vom 9. Mai 2001 (Az. IV ZR 121/00 und Az. 138/99) sowie vom 12. Oktober 2005 (Az. IV ZR 162/03 und Az. 177/03) unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 15. Februar 2006 (Az. 1 BvR 1317/96) weiterentwickelt«, schreibt das Gericht in einer Mitteilung. Damals ging es um ähnliche, aber ältere Fälle.
Das jetzige Urteil zeigt nun, dass die damaligen Anpassungen der Verträge durch die Assekuranz nicht ausreichend waren. Zudem bemängelten die Richter fehlende Transparenz der Verträge. Der Deutsche Ring hatte in seinen Bedingungen den Stornoabzug in Prozent genannt und nicht in Eurobeträgen. Eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers sind nach Ansicht der Richter auch Bestimmungen, wonach Beträge unter zehn Euro nicht erstattet werden.
Schließlich hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der beklagte Versicherungskonzern sich nicht allein bei der Abwicklung bestehender Verträge, sondern ebenso »bei deren Neuabschluss nicht auf die für unwirksam erklärten Klauseln berufen darf«.
Signal für die ganze Versicherungsbranche und etwa 40 000 Versicherte
Nutzen aus dem Urteil können etwa 40 000 Versicherte ziehen, die ihre Police beim Deutschen Ring vorzeitig gekündigt hatten. Doch das BGH-Verfahren gegen den Deutschen Ring bildet nur die Spitze des Eisberges: »Das Urteil hat Auswirkungen auf die gesamte Versicherungsbranche«, bestätigt Edda Castelló von der Verbraucherzentrale in Hamburg.
Nach diesem Urteil gegen den Deutschen Ring stehen weitere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Herbst und Winter an. Auch Verfahren in gleicher Sache gegen die Unternehmen Allianz, Ergo, Iduna und Generali werden demnächst entschieden.
Der Assekuranz dürfte das Urteil teuer zu stehen kommen. Castelló: »Wir schätzen die Summe, die von der Versicherungswirtschaft an ihre ehemaligen Kunden erstattet werden muss, auf rund zwölf Milliarden Euro.« Andere Branchenbeobachter halten diese Summe für zu hoch gegriffen. Wie auch immer: Es dürfte letztlich um einen stattlichen Betrag in Milliardenhöhe gehen.
Was sollen die betroffenen Ex-Versicherungsnehmer nunmehr dringend tun?
1. Die betroffenen ehemaligen Versicherungsnehmer müssen sich selbst melden und ihre Ansprüche gegenüber ihrem Versicherer anmelden.
Unabhängig davon fordern Verbraucherschützer die Versicherungswirtschaft zum Rückruf der alten Verträge und zur eigenständigen Erstattung der Beträge auf, die den Kunden zustehen.
2. Der Musterbrief »Rückkaufswert« kann von der Internetseite der Verbraucherzentrale Hamburg heruntergeladen werden unter www.vzhh.de. Mit dem ausgefüllten Musterbrief können Sie Ihre Forderungen bei der Versicherungsgesellschaft anmelden.
3. Sie können eine Kopie an die Verbraucherzentrale Hamburg senden: Kirchenallee 22, 20099 Hamburg oder per Mail an versicherungen@vzhh.de. Sie werden von dort über das weitere Vorgehen informiert.
HERMANNUS PFEIFFER
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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