Rauchverbot für den Wolf

Gesetz in Russland soll Kinder vor »schädlichen Informationen« schützen

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Wolf darf künftig nur noch zwischen 23.00 und 4.00 Uhr morgens rauchen. So jedenfalls sehen es Änderungen zu einem Gesetz vor, das pünktlich zum Schulanfang am 1. September in Kraft trat und Kinder vor »schädlichen Informationen« schützen soll. Der Gesetzgeber legt den Begriff sehr großzügig aus. Betroffen sind sogar Klassiker wie die sowjetische Zeichentrickfilmserie »Hase und Wolf«, an der sich auch in anderen Ländern Kinder wie Erwachsene ergötzten. Immer aufs Neue trickste der winzige, aber pfiffige Hase den großen, tumben Wolf aus. »Na, warte« schrie der ergrimmt am Ende jeder Folge Meister Lampe hinterher, um beim nächsten Mal von diesem erneut vorgeführt zu werden.

Jetzt ist Schluss mit lustig. Bei der Zensurbehörde Rosnadsor erregte Anstoß, dass der Wolf Papyrossy - selbstgedrehte Glimmstängel - pafft, Papierkörbe umwirft und pöbelt. Das könnte Heranwachsende zur Nachahmung verleiten, glauben die medialen Tugendwächter, die Comics dürfen daher nur noch gesendet werden, wenn russische Kids schlafen. Oder schlafen sollten.

Den Wolf, hielt sogar das Staatsfernsehen dagegen, würden sich Kinder schon allein deshalb nicht zum Vorbild nehmen, weil er eindeutig als Bösewicht erkennbar sein. Daher dürfe er auch den Rüpel heraushängen lasen. Die Zensoren ließen sich davon nicht beeindrucken und verpassten der Comic-Serie den Stempel 18+: Für Minderjährige nicht zugelassen.

Gegen ein Totalverbot »anstößiger« Filme oder Comics sprach sich sogar Duma-Vizepräsident Sergei Schlesenjak aus. Bedenkliche Szenen könnten verpixelt, mit Unschärfemasken bearbeitet oder geschwärzt werden. Letzteres empfahlen auch iranische Ayatollahs nach der Islamischen Revolution Zeitschriftenhändlern beim Umgang mit Restposten westlicher Modejournale. Auch die russische Zensurbehörde will nicht nur verbieten, sondern online und operativ Ratschläge erteilen, wie brisantes Material »entschärft« werden kann. Denn »Hase und Wolf« sind nur die Spitze des Eisbergs. Auch Winnetou und anderen Friedenspfeife rauchenden Indianern sowie qualmenden Kommissaren in Filmen über den Bürgerkrieg und den Großen Vaterländischen Krieg droht die elektronische Schere.

Künstler sind empört, Bürgerrechtler und kritische Journalisten sehen Russland in Richtung Theokratie abdriften und wähnen bei den Autoren der Gesetzesänderungen aus der Regierungspartei »Einiges Russland« Irrsinn. Kinder, ätzte Anton Orech, der Chefkommentator von Radio »Echo Moskwy«, würden auf dem Weg zur Schule schon in aller Frühe über Raucher und sogar Schnapsleichen stolpern, per TV-Werbung über Pülverchen zur Steigerung der Potenz informiert, beim Nachmittagstalk über Orgasmus aufgeklärt und zur besten Sendezeit am Abend mit gewaltverliebten Filmen zugedröhnt werden. Oder mit Seifenopern, in denen die Schönen und Reichen kiffen, was das Zeug hält. Darüber erregen sich Politiker zwar gelegentlich auch, doch bisher mündete die Empörung nicht in konkrete gesetzgeberische Initiativen.

Dazu kommt, dass die indizierten Werke weiter frei als DVD im Handel sind. Und wenn schon Zensur, darin ist sich die liberale Öffentlichkeit weitgehend einig, dann sei das nicht Aufgabe des Staates, sondern der Eltern.

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