Wenn das Herz nicht frei ist ...
Liao Yiwu sprach zum Auftakt des 12. Internationalen Literaturfestivals Berlin
Er wirkt auf eine Art gedrungen, die zugleich etwas Scheues, Zärtliches hat. Seltsame Befangenheit: auf einen Menschen zu blicken, der von sich selber sagt, er gehöre »zum Bodensatz der Gesellschaft«; einen Dichter zu sehen, der geschlagen wurde, und noch ganz anders gequält, zwischen Mörder und sonstige Schwerverbrecher gesperrt. Wer sein Buch »Für ein Lied und hundert Lieder« gelesen hat, der hat den harten, heftig brüllenden, dann wieder hautweich bebenden poetischen Bericht über ein chinesisches Schicksal gelesen. Liao Yiwu.
Jetzt ganz entspannt, leger gekleidet, wie in einer anderen Welt. Es ist eine andere Welt. Deutschland. Er ist frei - doch gefangen in Sorge. »Wenn das Herz nicht frei ist, ist der Mensch nicht frei.«
Darüber sprach der Dichter - über Vietnam ins Ausland geflohen, nun Exilant im Westen - am Dienstag zur Eröffnung des 12. Internationalen Literaturfestivals Berlin, im vollbesetzten Haus der Berliner Festspiele. Zunächst spielte er auf der Flöte; dem Tonzauber dieses Instruments zu dienen, das hat er im Gefängnis gelernt. Eine elegische, traurige Musik, durchsetzt von heiteren Sprüngen - als wolle ein Mensch zu tanzen beginnen, dem man eben die Beine fesselte. Wünsche kann keiner fesseln.
Liao Yiwu, Jahrgang 1958, sprach über Tibet. Klagte die Versuche des kommunistischen Staates an, die Kulturrevolution aufs Hochland-Volk zu übertragen. Erzählte von den jahrelangen Exzessen der Armee, den Schikanen, den Schleifungen der Klöster, berichtete von den wachsenden Selbstverbrennungen der Mönche. Freiheit sei der Ort des Glücks, aber darf ein System verfügen, die sprachlose Unterwerfung aller unter die »Tyrannei des Atheismus« als die höchste Freiheit zu deklarieren? Darf Stillen des Hungers Vieler zum Strangulieren des freien Denkens derer führen, die denken wollen? Liao Yiwu forderte auf, nicht wegzusehen, wenn sich Mönche anzünden. Bittere Frage: »Kann die Seele solcherart Gestorbener noch lächeln? Ist das nicht Terrorismus, wenn ein Staat Menschen zwingt, so Hand an sich zu legen?«
Reden über Tibet, indem der Schriftsteller den 17. Gyalwang Karmapa porträtierte, einen der Ranghohen des Buddhismus, einen jungen Mann, Lama wie der Dalai Lama, ebenfalls ins Exil gezwungen, ein Liebhaber von Bob Dylan. »Blowin in the Wind«. Den Wind hält nichts auf, die Wahrheit auch nicht. Auch wenn sie meist weit stiller, mählicher durch die Welt weht.
Liao Yiwu zitierte den Dalai Lama, der sagte, die KP sei nicht sein Feind, sondern sein Lehrer. Und in einem Text anlässlich der zum Literaturfestival eröffneten Kunstausstellung »Die sichtbaren und die unsichtbaren Gefängnisse« erzählt er, er habe in Haft gesessen, und jener Mönch, von dem er das Spiel der Bambusflöte erlernte, sagte damals: »Wir sitzen in einem sichtbaren und die meisten Menschen da draußen in einem unsichtbaren Gefängnis.«
Sanft schaut jetzt der Poet, schaut lange in den Saal und spricht - bevor er in einem Musiker-Trio die singende, die durchdringend schreiähnliche Stimme wird - das unerbittliche Urteil: »Auch wenn jetzt überall ein zunehmend politischer, wirtschaftlicher, kultureller Austausch stattfindet und dieser Austausch wahrlich nicht fehlen darf, auch wenn also die Fußabdrücke des fleißigen chinesischen Volkes auf der ganzen Welt zu sehen sind: seine Seele bleibt in einem eisernen Käfig.«
Beeindruckend: Spricht einer, der quasi seine Aus- und Herzensbildung als Opfer hinter sich hat, dann wird jenes grobe Tönen brüchig, das dir was entgegenröhren will von Weltlage, von Systemzusammenhängen, von objektiven Bedingungen, von Gesamtlage. Du siehst und hörst einen Menschen, und in deinem eigenen unsichtbaren Gefängnis öffnet sich eine Tür. Verständnis. Seltsames Licht.
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