Schweigemarsch für die Gesundheitsreform

Pflegeaktivisten fordern einen Stopp der Privatisierung und bessere Arbeitsbedingungen

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 3 Min.
Die größten Probleme in der Pflege sind Zeit- und Personalmangel. Um auf die teils unhaltbaren Zustände aufmerksam zu machen, hat sich eine Aktivistengruppe gegründet.

Mit einem Schweigemarsch wollen »Pflegeaktivisten« am kommenden Samstag in München und Düsseldorf gegen Missstände in der Pflege protestieren und sich für eine andere Gesundheitspolitik einsetzen. »Pflege im freien Fall, wo bleibt unser Rettungsschirm«, so lautet der Slogan der Aktion. Die Aktivisten sind eine Gruppe von Pflegern, Angehörigen und Betroffenen, die der Münchner Robert Gruber im November 2011 gründete und die sich über Facebook organisiert. »Bist Du selbst Pflegekraft und hattest bis jetzt keinen Mut, Deinen Mund aufzumachen? Dann schließt Euch uns an. Nur gemeinsam können wir gegen den Wahnsinn in der Pflege vorgehen«, heißt es im Internet.

»Der Mensch soll wieder im Mittelpunkt stehen«, fasst Gruber das zentrale Anliegen zusammen. Weg von profitorientierter Pflege mit Abrechnung der Leistungen nach Minuten; weg mit der indus-trialisierten Pflege und ein Stopp der Privatisierung von Heimen und Kliniken, das sind die Forderungen. Der 45-Jährige weiß, wovon er spricht: 1998 machte er sich in Kirchheim als Pfleger selbstständig und versucht seitdem, seine Arbeit nach menschlichen Kriterien zu gestalten.

Seine Erfahrungen zeigen, dass die Pflegesituation vor 20 Jahren besser war. Seitdem habe massiver Personalabbau, zum Beispiel in den Intensivstationen der Kliniken, stattgefunden. In der Folge muss immer weniger Personal die Patienten in immer weniger Zeit versorgen. Eine Pflegehelferin schildert in einer E-Mail an die Aktivisten ihren Alltag in einem Seniorenheim bei München so: »Durch diverse Ausfälle wegen Krankheiten und Kündigungen kam es vermehrt zu gravierenden Engpässen. Das Personal machte Doppelschichten, teilweise arbeitet Pflegepersonal allein auf Station mit bis zu 34 Bewohnern, eine Fachkraft war für vier Stationen, darunter der beschützte Wohnbereich, zuständig. Nach einem Aufnahmestopp durch die Heimaufsicht konnten wir aufatmen, aber nach drei Monaten wurde das Haus wieder bis auf den letzten Platz belegt. Viele gute Pflegekräfte hatten aber gekündigt und wir hielten uns mit freiberuflichen Mitarbeitern über Wasser. Um dem Personalmangel entgegenzuwirken, wurden nun vermehrt Pflegekräfte aus Polen und Litauen geholt, die aber teilweise kaum Deutsch sprechen. Die Kommunikation mit Ärzten, Angehörigen und Bewohnern ist dadurch kaum möglich. Trinkprotokolle und andere Dokumentationen werden nicht mehr geführt, wenn das deutschsprachige Personal frei hat. Unsere Bewohner bauen ex-trem ab, wir konnten und können das nicht mehr auffangen. Wir arbeiten bis zur psychischen und physischen Erschöpfung.«

Gegen derartige Arbeitsbedingungen wollen die Pflegeaktivisten mobil machen. In einer Petition an den Bundestag fordern sie einen Wegfall der Minutenberechnung bei Pflegeleistungen, aktiven Gesundheitsschutz für Pflegemitarbeiter - d.h. weniger Überstunden und kein weiterer Personalabbau -, die konsequente Einhaltung der Arbeitszeitgesetze und schließlich ein existenzsicherndes Einkommen. Eine weitere Forderung ist die Ernennung eines Pflegedienstbeauftragten ähnlich des Wehrbeauftragten, der direkt und ohne Sanktionen auf Probleme angesprochen werden kann.

Mit dem Schweigemarsch wollen die Pflegeaktivisten das »Gesundheitssystem symbolisch zu Grabe tragen«, sagt Aktivist Gruber. In München soll nach einer Rede um 20 Uhr am Stachus ein Fackelzug zum Königsplatz ziehen.

Als Veranstalter nicht dabei ist die Gewerkschaft. »Wir haben uns intensiv mit der Aktion beschäftigt und unterstützen natürlich auch viele inhaltliche Forderungen«, so ver.di-Sekretär Christian Reischl. Doch ver.di hält die Form der Aktion und den Zeitpunkt - während der Schulferien - für ungeeignet, für eine Zusammenarbeit mit den Pflegeaktivisten sei man aber prinzipiell offen. Der Marsch in Düsseldorf beginnt um 18 Uhr am Hauptbahnhof und zieht von der Königsallee über den Graf Adolf Platz in Richtung Gesundheitsministerium. Neben der bestehenden Internetpräsenz wollen die Pflegeaktivisten in Zukunft auch regionale Stammtische einrichten.

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