Drahtseilakt in Bogotá

Noch vieles offen bei Friedensverhandlungen von Guerilla und kolumbianischer Regierung

  • David Graaff, Bogotá
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Ankündigung von Friedensgesprächen zwischen der FARC-Guerilla und der kolumbianischen Regierung erhält national und international viel Beifall. Während beide Parteien inzwischen die jeweiligen Verhandlungsdelegationen benannten, sind wichtige Details noch völlig offen.

Für zwei Stunden schien die politische Welt in Kolumbien stillzustehen. Als die beiden Verhandlungsparteien am Dienstag zur Mittagszeit offiziell die Aufnahme von Friedensverhandlungen verkündeten, standen die Menschen vor den Fernsehern oder drehten das Radio lauter. Juan Manuel Santos, Präsident Kolumbiens, und kurz darauf der oberste Befehlshaber der FARC-Guerilla, Rodrigo Londoño Echeverry alias »Timochenko«, wandten sich mit Ansprachen an die Bevölkerung und bestätigten, dass sich die Gesandten beider Seiten in sechsmonatigen Verhandlungen auf Kuba über die Aufnahme von Friedensgesprächen verständigt hatten.

Londoño sagte in seiner Videobotschaft, der Schlüssel zum Frieden liege weder bei der Regierung noch bei der FARC, sondern in den Händen der Bevölkerung. »Die Tür zur Hoffnung ist wieder geöffnet. Der Frieden ist eine Frage aller.« Santos betonte seinerseits, »wenn wir den Konflikt beenden, wird sich all unser Potenzial entfesseln und niemand wird Kolumbien stoppen.«

In der »Generalvereinbarung zur Beendigung des Konflikts« wurden fünf Punkte vereinbart, über die im Zuge der Anfang Oktober in Oslo und danach in Kuba stattfindenden Gespräche verhandelt werden sollen: Ländliche Entwicklung, politische Teilhabe, Ende des bewaffneten Konflikts, Drogenhandel und die Rechte der Opfer des Konflikts. Die Regierungen Venezuelas und Chiles werden die Verhandlungen begleiten.

Allerdings lässt die Vereinbarung noch viele Fragen offen. So enthält diese beispielsweise noch keinen Passus über eine Feuerpause, die bewaffneten Auseinandersetzungen werden parallel zu den Gesprächen weitergehen. Im Gegensatz zu den gescheiterten Verhandlungen in Caguán zwischen 1998 und 2002, bei denen die Gespräche in einer entmilitarisierten Zone stattfanden, wird der Staat sein Gewaltmonopol nicht aufgeben. »Wir werden keinen Zentimeter zurückweichen«, betonte Santos und kündigte an, weiter militärisch »wenn nicht sogar noch härter«, gegen die Guerilla vorzugehen.

Erst am Mittwoch wurden bis zu 15 Rebellen bei einem Luftangriff der Regierungstruppen getötet. Unter den Toten sei José Epimenio Molina alias »Danilo García«, berichtete der Rundfunksender RCN. Er gehört nach Militärangaben zu den engsten Freunden des FARC-Anführers Londoño.

Unklar ist auch, wie sich die wichtigen Wirtschaftspfeiler, die Ausbeutung von Rohstoffen und agrarindustrielle Großprojekte mit den an kleinbäuerlichen Interessen orientierten Positionen der Guerilla vereinbaren lassen wird.

Für die Regierung Santos ist die Aufnahme von Friedensgesprächen ein politischer Drahtseilakt. Sollten sie nämlich scheitern oder ohne schnelle Ergebnisse verlaufen, würde dies, wie schon 2002, erneut den Weg für die extreme Rechte um den Populisten Álvaro Uribe bereiten.

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